DR. THOMAS BORER

WIR MÜSSEN MIT SELBSTBEWUSSTSEIN AUF DER WELTBÜHNE AUFTRETEN

Der ehemalige Diplomat und heutige Unternehmensberater Dr. Thomas Borer kennt die Schweizer Wirtschaft wie kaum ein Anderer. Wir sprachen mit ihm über die finanzielle Lage und die Zukunft der Schweiz. Fest steht für ihn: Es müssen Reformen her, um auch in Zukunft eine Weltmacht zu bleiben.

FonTimes: Im Vergleich zum restlichen Europa liegt die Schweiz laut OECD mit der Altersarmut an der Spitze. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

Dr. Thomas Borer: Nein, diesen Eindruck kann ich nicht bestätigen. Durch unseren demografischen Wandel stehen unsere erste und zweite Säule natürlich vor einer grossen Herausforderung. Damit sind wir in Europa nicht alleine. Die OECD-Studie kritisiert unter anderem die stark zunehmende Ungleichheit in der Schweiz im Einkommen. Aber Transferzahlungen werden beispielsweise in der Studie nicht berücksichtigt, was meines Erachtens zu einer Verzerrung führt, gerade in der Schweiz. Wir haben laut den Studien des BAK und des WWZ eine sinkende Ungleichheit seit 2008, mit einer leichten Aufwärtstendenz seit 2012. Ebenfalls hat Monika Englers in ihren Untersuchungen zur Umverteilung aufgezeigt, dass die Pre- und Post-Steuereinkommen in der Schweiz durch die Umverteilung des Staates stark positiv beeinflusst werden. Vor allem wenn man das Lebenseinkommen betrachtet, ist die Umverteilung des Staates sehr effektiv und sorgt dafür, dass bei Pensionären das Post-Steuereinkommen grösser ist als das Pre Steuereinkommen und die Einkommensgerechtigkeit zunimmt. Dies ist natürlich auf die Transferzahlungen und das Wegfallen der Einkommenssteuern zurückzuführen. Auch Avenir Suisse kommt zum Schluss, dass die Medianeinkommen von Jahr zu Jahr real gestiegen sind, auch bei den Rentnern. Es ist jedoch so, dass zukünftige Generationen mit dem heute erkennbaren Trend zu kämpfen haben werden und wir die Rentenlücke schliessen müssen. Ich hoffe, wir schaffen das mit einer AHV- und Pensionskassen-Reform an der Urne.

FT: Wie wird sich das Rentenniveau weiterentwickeln, wenn immer weniger Erwerbstätige auf einen Rentner kommen und die Lebenserwartung weiter steigt?

Dr. Thomas Borer: Ohne Reformen lässt sich das jetzige Niveau nicht mehr halten. Klar ist, dass wir an den verschiedenen Parametern schrauben müssen, um unser System nachhaltig zu finanzieren. Bei steigender Lebenserwartung wird das Rentenalter ebenfalls steigen müssen. Daran führt einfach kein Weg vorbei. Zu diesem Zweck muss auch der Arbeitsmarkt und das Steuersystem angepasst werden. Zum Beispiel muss der Staat beispielsweise mit Steueranreizen die Mitarbeiter, aber auch das Unternehmen dazu motivieren, länger zu arbeiten bzw. ältere Mitarbeiter länger zu behalten. Natürlich ist dies nicht die einzige Massnahme, um unser Rentenniveau zu halten. Ein Autopilot, gekoppelt an eine Schuldenbremse, wie sie beispielsweise von Schaltegger und Feld vorgeschlagen wurde, wäre ein Weg, um die Diskussion zu entpolarisieren.

FT: Wie muss sich die Schweizer Wirtschaft entwickeln, dass auch im Rahmen der Digitalisierung genügend Arbeitsplätze geschaffen werden können?

Dr. Thomas Borer: Die Digitalisierung wird Arbeitsplätze schaffen, die wir heute noch gar nicht kennen. Wer konnte vor der Erfindung des Autos erwarten, dass die Fabriken und Werkstätten Millionen neuer Arbeitsstellen schaffen würden? Wie sich die Schweizer Wirtschaft entwickeln muss, kann man daher nicht voraussagen. Wir dürfen der Wirtschaft keine Steine in den Weg legen und müssen Innovation fördern und zulassen. Klar ist, dass sich keine Branche der Digitalisierung entziehen kann. Jeder muss sich anpassen und gewappnet sein, denn es wird nicht nur Bewährtes zerstört, sondern es werden auch neue Geschäftsfelder erschlossen.

FT: Was ist die grösste Stärke der Schweizer Wirtschaft?

Dr. Thomas Borer: Die Schweiz hat in den letzten Jahren oder Jahrzenten immer wieder bewiesen, dass sie eines der innovativsten Länder der Welt ist. Unser Bildungssystem ist eines unserer grössten Stärken. Drei unserer Universitäten gehören zu den besten hundert Universitäten der Welt. Dazu kommt unser duales Bildungssystem, das auch im internationalen Vergleich äusserst gut ausgebildete Arbeitskräfte hervorbringt, was der Schweizer Nachwuchs an den Berufsweltmeisterschaften mit 20 Medaillen, elf davon Gold, beweisen konnte. Bildung ist unser wertvollstes Gut und es wird auch in Zukunft essenziell sein, daran zu arbeiten.

Unser liberaler Arbeitsmarkt sowie funktionierende Sozialpartnerschaften sind ebenso wichtig wie die verfügbaren Fachkräfte. Ein Beispiel, wie ein überregulierter Arbeitsmarkt zu wirtschaftlichem Stillstand führen kann, ist Frankreich. Wir sehen, dass in der Schweiz trotz der liberalen Regelung und wenig staatlicher Eingriffe und verordneten Umverteilungen die Ungleichheit gefallen ist. Es gibt auf der Welt neben Norwegen kein Land mit einem derart hohen BIP und einer tiefen Ungleichheit. Gemäss Avenir Suisse hatten wir sogar einen stärkeren Lohnanstieg bei den tieferen Einkommen als bei den hohen Einkommen, was doch sehr erfreulich ist.

Des Weiteren sehe ich einen grossen Vorteil in der konsequenten Umsetzung des Föderalismus und unseres Subsidiaritätsprinzips. Der Konkurrenzföderalismus fördert die Kultur, Neues zu wagen, welches bei erfolgreicher Implementierung von anderen Kantonen übernommen werden kann.
Unser politisches System spielt bei all den genannten Faktoren natürlich eine wichtige Rolle. Es ist das Zusammenspiel, die Vielfalt, der Konsens, was die Schweiz zu einem der erfolgreichsten Länder mit einer ausserordentlichen Lebensqualität macht. Politische Stabilität ist nicht nur für die heimische Bevölkerung und Unternehmen wichtig, sondern auch für Investitionen aus dem Ausland. Alle diese und andere Faktoren zusammen ergeben das „Erfolgsmodell Schweiz“.

Schweizer Volk FonTimes

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FT: Welche Herausforderungen wird die Schweiz politisch und wirtschaftlich in Zukunft haben?

Dr. Thomas Borer: Da gibt es einige. Die Schweiz kann sich den politischen und wirtschaftlichen Megatrends nicht entziehen. Die politische und wirtschaftliche Weiterentwicklung der EU, harter oder weicher Brexit, die hoffentlich friedliche Entwicklung in Osteuropa wird für die Schweiz natürlich spürbare Folgen haben. Ebenso der Aufstieg Chinas zur grössten Volkswirtschaft – in hoffentlich friedlichem Wettstreit mit dem Westen und den asiatischen Nachbarn. Nach wie vor ist für uns mitentscheidend, wie sich die Supermacht USA verhält. Werden die Tendenzen zum Protektionismus siegen oder wird durch eine gute Steuerreform eine neue Dynamik ausgelöst, von der auch wir wirtschaftlich profitieren können? Wie entwickeln sich die Krisenherde um uns herum und gehen wir die grosse Herausforderung Migration endlich mit einer umfassenden Strategie an? Denn es stehen einige hundert Millionen von Menschen an den Toren Europas bereit. Mit einem überholten Flüchtlingsbegriff aus dem Jahre 1945 und unserer jetzigen unsinnigen Flüchtlingspolitik können wir diese Herausforderung sicherlich nicht meistern.

Allein Nigeria als wirtschaftlich wichtigstes Land wird laut Voraussagen der UNO in 80 Jahren eine Milliarde Einwohner haben. Falls die Produktivität nicht steigt, kein Kapital nach Nigeria fliesst und die politische Situation, trotz demokratischen Wahlen, nicht stabiler wird, werden wir auch mit Flüchtlingsströmen aus diesem Raum zu kämpfen haben. Wirtschaftliche Herausforderungen hängen natürlich auch mit den politischen Herausforderungen zusammen. Wie macht die EZB weiter? Werden die Zinsen weiterhin künstlich tief gehalten? Dies hat natürlich auch starke Implikationen für die Schweiz. Und über den Gamechanger Digitalisierung und Technologie haben wir schon gesprochen. Er wird zukünftig auch über die Macht eines Landes entscheiden.

FT: Ist die Digitalisierung und die Industrie 4.0 schon jetzt ein wichtiges Thema in der Arbeitswelt? Welche Vor- und Nachteile wird das mit sich bringen?

Dr. Thomas Borer: Die Digitalisierung und die Industrie 4.0 sind beide sehr weitläufige Begriffe. Natürlich, die Schweizer Arbeitswelt und die Schweizer Politik setzen sich mit den beiden Themen auseinander. Ich war Redner am diesjährigen KMU-Forum im Zürcher Oberland und in Winterthur. Das Thema Digitalisierung war auch da omnipräsent Vorteile von diesen neuen Technologien können sehr vielseitig sein. Die zunehmende Anzahl an IoT-Geräten machen unsere physischen Objekte „intelligenter“. Gleichzeitig steigt aber das Risiko der virtuellen Angreifbarkeit. Autonomes Fahren durch künstliche Intelligenz und Schwarmintelligenz zwischen den Automobilen könnte unsere Unfallrate massiv senken. Die Entwicklung stellt aber eine grosse Herausforderung für Gesetzgeber und die traditionelle Automobilindustrie. Die Blockchain ermöglicht es uns durch digitale Währungen auf eine sichere, transparente und günstige Art und Weise auf der ganzen Welt zu gebrauchen. Sie ersetzt möglicherweise Grundbücher bei Immobilienverkäufen oder kann die Voraussetzung für eine digitale Identität schaffen, mit welcher wir im Internet abstimmen können. Die Technologie ist jedoch noch sehr neu und die genauen Auswirkungen sind sehr ungewiss. Generell können wir uns Effizienzgewinne von den neuen Technologen erhoffen. Jedoch gibt es natürlich bei jeder Innovation Gewinner und Verlierer. Die Herausforderung wird es sein, dass die Verlierer neue Perspektiven gewinnen.

FT: Wie hat sich das Leben junger Schweizer im Vergleich zu Ihrer Jugend verändert? Hat es sich verbessert oder verschlechtert?

Dr. Thomas Borer: Ganz gewiss hat es sich verbessert. Als ich jung war, hatten wir kaum Möglichkeiten unsere Ausbildung im Ausland zu ergänzen. Es war schwierig und kostspielig im Ausland zu studieren. Oft wurden die Abschlüsse in der Schweiz nicht zugelassen. Es gab wenige Unternehmen, die Arbeitsplätze im Ausland anboten. Es gab keine Personenfreizügigkeit. Man brauchte für jedes Land Arbeitsbewilligungen, die nur schwer zu erhalten waren usw. Auf der anderen Seite hatte man viel weniger Konkurrenz. Nach meinem Studienabschluss in Basel konkurrierte ich vielleicht mit ein paar Dutzend Juristen um die Arbeitsplätze. Die heutige Schweizer Jugend steht im Wettkampf mit gut ausgebildeten, hungrigen Menschen von überall auf der Welt. Sie muss deshalb jeden Tag länger und härter arbeiten und sich permanent weiterbilden.

 

Mehr zu diesem Interview, finden Sie in der aktuellen Ausgabe vom FonTimes Magazin.

 

Thomas Borer

 

DR. THOMAS BORER
Der gebürtige Basler Dr. Thomas Borer studierte Jura an der Universität Basel. Danach war er lange in der Privatwirtschaft als juristischer und Anlageberater tätig. 1987 trat er als Diplomat ins Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ein. Nach Einsätzen in Bern, Lagos und Genf wurde er 1993 an die Botschaft in Washington als Zuständiger für Rechts- und politische Fragen versetzt. Ende 1994 wurde er vom Schweizerischen Bundesrat zum Stellvertretenden Generalsekretär des EDA gewählt. In dieser Funktion war er in der Zentrale als Chef Ressourcen insbesondere für die Leitung der Abteilungen Personal, Telematik, Logistik, Finanzen und Verwaltungsrecht sowie für die Reorganisation des EDA und des schweizerischen Vertretungsnetzes im Ausland verantwortlich. 1996 wurde er vom Schweizerischen Bundesrat zum Chef der „Task Force Schweiz – Zweiter Weltkrieg“ ernannt, die sich mit der Rolle der Schweiz als Finanzplatz zur Zeit der Naziherrschaft befasste. Aus diesem Anlass wurde Dr. Thomas Borer der Botschaftertitel verliehen. Am 31. 03. 1999 wurde die Task Force vom Bundesrat aufgelöst und Dr. Borer zum Schweizerischen Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland ernannt. Ende April 2002 hat er den Staatsdienst verlassen und sein eigenes Unternehmen gegründet, das er seither erfolgreich führt. Als Berater kümmert er sich weltweit um verschiedene Unternehmen.

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