Die Natur spielt im Theater mit

Im Juli und August 2017 zeigen die Freilichtspiele Zermatt die Uraufführung von „Romeo und Julia am Gornergrat“ auf 2’600 Meter über Meer auf Riffelberg. Livia Anne Richard, die das Stück verfasst hat, inszeniert einen universellen Stoff, bei dem das Matterhorn und die Natur eine wesentliche Rolle spielen. Die Regisseurin spricht über die Inszenierung und die Besonderheiten der Natur als Mitspielerin am Gornergrat.

 

FonTimes: Bei „Romeo und Julia am Gornergrat“ geht es um eine Liebesgeschichte. Passt denn eine Liebesgeschichte in diese harte Natur am Gornergrat?

Livia Anne Richard: Ich empfinde die Natur am Gornergrat nicht als hart, sondern als ursprünglich, archaisch und unbefleckt. Da hinauf gehören die grossen, universellen Themen des menschlichen Daseins: Geburt, Liebe, Tod, Freiheit, Freundschaft, Hass. Sie schwingen da oben ganz stark mit. Das sind Themen, die man überall, auf der ganzen Welt versteht. Da, am Riffelberg, passt nichts Oberflächliches hin. Diese Natur hat eine Tiefe. Darum muss auch die Geschichte Tiefgang haben.

 

FT: Somit gehen Sie als Autorin davon aus, dass das Theatererlebnis dank der imposanten Natur zu einem noch tieferen Erlebnis wird?

Livia Anne Richard: Theater und Natur ergeben zusammen eine Geschichte, die auf einer tieferen Ebene berührt als dies in einem Theatersaal möglich ist. Der Theatersaal ist von Menschenhand gemacht. Diese Natur hier – es kommt darauf an, was man glaubt – ist von Gottes Hand geschaffen. Hier herrscht eine göttliche Ordnung, der man sich unterordnen muss. Die Handlung und die Natur berühren ganz direkt, gehen mitten ins Herz.

 

FT: Ein klassischer Stoff ist die Grundlage, Romeo und Julia. Aber Sie haben diese Geschichte neu geschrieben. Was sind die Eckpfeiler in dieser neuen Geschichte?

Livia Anne Richard: Die Vorlage ist „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Gottfried Keller. Eigentlich hätte ich diese Geschichte für den Riffelberg eins zu eins dramatisieren wollen. Es handelt sich ja um eine Novelle, die in Prosaform geschrieben wurde. Das heisst, man muss als Autorin Dialoge schreiben, man muss verdichten. Mit der Zeit kam mir aber die Weite und die Weitsicht der Bergwelt „in die Quere“. Ich habe bemerkt, dass der Verlauf dieser Geschichte da oben anders sein darf. Denn da sind wir ja nicht „auf dem Dorfe“. Wir sind „auf dem Berge“. Das öffnet und nimmt die Scheuklappen weg. Dazu möchte ich aber nicht allzu viel verraten.

 

FT: Beim Arbeiten haben Sie die ganze Zeit das Matterhorn vor Augen. Warum fasziniert dieser Berg so?

Livia Anne Richard: Ich glaube, dass die Faszination des Matterhorns daher rührt, weil dieser Berg das ist, was wir alle sein möchten: eigenständig, stark, eine Dreifaltigkeit in sich selber vereinend. Diese Dreifaltigkeit ist durch die Dreiecksform des Berges symbolisiert. Dieses Dreieck wiederholt sich überall in den Religionen. Das Matterhorn ist das Symbol dafür. Es muss nirgends anlehnen, es hat weder Mann noch Frau neben sich. Es steht für sich alleine, wie ein Fels in der Brandung. Es verkörpert die Souveränität. Diese Autonomie möchten wir Menschen auch verkörpern. Ein jeder möchte für sich stark und autonom sein und für sich selber einstehen. Das Matterhorn ist weltberühmt, weil es so alleine dasteht.

 

FT: Wer auf der Tribüne sitzt, sieht ja nicht nur die Theaterhandlung. Am Berg entsteht durch das Wetter und die Wolken auch eine Handlung. Stört das die Theater-Handlung?

Livia Anne Richard: Nach meinen Erfahrungen mit Freilichttheater generell und spezifisch am Riffelberg ist es auf wundersame Weise immer so, dass die Wetter-Stimmung in der Handlung mitspielt. Man stelle sich beispielsweise eine Kuss-Szene vor. Dann kommt gleichzeitig ein Nebel aus dem Tal herauf. Das lässt erahnen, dass hier nicht eitel Sonnenschein ist. Es kann aber auch sein, dass genau dann, wenn der Kuss stattfindet, die Sonne durch die Wolken bricht. Das verstärkt die romantische Situation. Das Wetter kann also die Stimmung verstärken oder auch diametral gegen die Stimmung in der Handlung arbeiten, was einen unglaublich starken Kontrastpunkt ergibt.

 

FT: Sie haben einen Stoff gewählt, der über 150 Jahre alt ist. Ist das Thema der verbotenen Liebe heute noch ein Thema?

Livia Anne Richard: Ich bin immer wieder erstaunt! Man muss nicht nach Indien reisen, um Kastendenken zu sehen, in dem vorgeschrieben wird, wen man heiraten darf. Ich kenne viele Beispiele auch aus meinem eigenen Leben, wo heikle Konstellationen zustande kommen, wenn das Kind einen Partner nach Hause bringt, der von den Eltern nicht akzeptiert wird. Eltern haben auch heute noch ein Wörtchen mitzureden – ob legitimerweise oder nicht, bleibe dahingestellt. Das Dilemma von Romeo und Julia ist genauso zeitlos wie die Liebe selber.

 

Die Autorin

Livia Anne Richard verfasst und inszeniert regelmässig Theateraufführungen auf dem Gurten bei Bern. Im Jahr 2015 wurde erstmals auf dem Riffelberg am Gornergrat das Freilichttheater „The Matterhorn Story“ realisiert. Livia Anne Richard verfasste und inszenierte das Stück, das auf 2’600 m Höhe vor über 23’000 Personen gezeigt wurde. Das Stück über die Erstbesteigung des Matterhorns im Jahre 1865 gehört zu den erfolgreichsten Freilichttheater-Inszenierungen der Schweiz.

 

Im Juli und August 2017 wird das Stück „Romeo und Julia am Gornergrat“ gezeigt, das Livia Anne Richard verfasst hat. 30 Darstellende und ein Feuerkünstler proben seit Wochen. Der Vorverkauf ist sehr gut angelaufen.

 

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