Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Trend, sondern eine Transformation. Ob bei der Energiebilanz oder dem eigenen Fussabdruck, auch die Filmbranche steht vor einem wichtigen Wandel. Ein Dokumentarfilm aus Zürich zeigt, wie man auch hinter der Kamera CO2 einsparen kann.
Vin Diesel heizt in seinem schwarzen Dodge Charger durch die Strassen von Rom, während rings um ihn herum Metall auf Metall knallt und dabei die halbe Stadt auseinanderfällt. Moderne Blockbuster wie der inzwischen 11. Teil der «Fast & Furious»-Reihe verschlingen nicht nur gigantische Budgets. Die Reise der SchauspielerInnen und Filmcrews um die ganze Welt sowie die aufwendigen Computereffekte verbrauchen auch eine beachtliche Menge CO2.
Während die Gesellschaft über die Umstellung und Sicherung der Stromproduktion debattiert und viele Sektoren versuchen, sich neu zu erfinden, werden in Hollywood noch rund 500 Tonnen Kohlenstoffdioxid pro Blockbuster in die Atmosphäre geschossen. Im Gegensatz dazu verbraucht eine durchschnittliche «Tatort»-Folge in Deutschland etwa 140 Tonnen. Dass es auch etwas kleiner geht, zeigte die letzte Episode des Luzerner «Tatorts» mit 38 Tonnen. Das Einsparpotenzial scheint also vorhanden zu sein, beispielsweise wenn man lokaler arbeitet. Zum Vergleich: Herr und Frau Schweizer stossen pro Jahr 12 Tonnen CO2 aus – dazu zählen nicht nur die Ferien im Ausland, sondern auch das iPhone aus China und die Avocado aus Chile.
Kreuzfahrt in die Klimakatastrophe
Auch wenn es noch keine Pläne gibt, die nächste «Traumschiff»-Episode im Filmstudio Babelsberg statt in der Karibik zu drehen, so bewegt sich doch langsam etwas in der Filmbranche. Unter dem Motto «Green Shooting» werden zum Beispiel bei Festivals entsprechende Workshops angeboten und auch die Filmförderung ist aktuell dabei, Standards für die Nachhaltigkeit einzuführen. So sollen die Filmemachenden motiviert werden, neben der Zeit und dem Geld auch auf andere Ressourcen zu achten.
Ein wenig früher ist das Thema bereits bei den StudentInnen der Zürcher Hochschule der Künste angekommen. Hier führten Überlegungen zur Nachhaltigkeit im Film nicht nur zu zahlreichen spannenden Projekten, sondern auch bereits zu einem eigenen Seminar. Der Regisseur und Master-Student Tobias Luchsinger arbeitete in den letzten Jahren an einem Dokumentarfilm, der das Thema Nachhaltigkeit nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera aufgreift.
Sein Film «Der Wert der Dinge» begleitet einen Bauingenieur, eine Modedesignerin und einen Lebensmittelaktivisten in ihrem Arbeitsalltag (siehe Box). «Wir zeigen dabei Menschen, die nicht nach Lösungen suchen, sondern schon aktiv an Lösungen arbeiten», erklärt Luchsinger. Mit den Dreharbeiten wollte man aber nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die eigene Arbeitsweise hinterfragen. Wie klimaverträglich kann ein Filmdreh überhaupt sein?
Filme aus der Region
Ob Drehorte, SchauspielerInnen, Verpflegung oder Stromproduktion, für jeden Aspekt des Drehs wurde nach einer klimaverträglichen Lösung gesucht. Zudem wurde die Filmproduktion selbst von einer zweiten Kamerafrau begleitet – eine Dokumentation des Dokumentarfilms sozusagen. Auch diese Aufnahmen werden im finalen Film zu sehen sein. Gedreht wurde ein Grossteil des Projektes von November 2020 bis Juni 2021. Hinzu kamen noch kleinere Nachdrehs im Frühling 2022. «Die grösste Herausforderung war die Stromproduktion, weil es gar nicht so einfach ist, selbst Strom zu produzieren», erzählt Luchsinger. So benutzte man unter anderem Fahrräder und menschliche Dynamos zur Energieerzeugung – in Coronazeiten eine Alternative zu den damals geschlossenen Fitnessstudios.
Zudem baute man sich in Wipkingen eine eigene Solaranlage auf den Arbeitscontainer. Dafür brauchte es nicht nur Fachleute, sondern auch die Bewilligung der Stadt Zürich. Geschnitten wurde der Film ebenfalls in dem Container, im Winter beheizt von einem Holzpelletofen. So mussten mit Hitze, Kälte und Muskelkater einige widrige Umstände für die eigene Energieautarkie überwunden werden. «Wo wir allerdings am meisten Ressourcen eingespart haben, war bei der Auswahl der ProtagonistInnen. Indem wir uns dafür entschieden haben, lokal zu drehen», sagt Luchsinger.
So konnte nicht nur die Filmcrew mit dem Fahrrad anreisen, sondern auch das gesamte Equipment damit transportiert werden. Das lokale Arbeiten spart auf der einen Seite Zeit, auf der anderen gibt es den Filmemachenden auch die Möglichkeit, einen engeren Kontakt zu den Personen vor der Kamera aufzubauen. So entstand Luchsingers erster Film noch in Äthiopien, wo mögliche Nachdrehs unmöglich scheinen für diese Art von Film.
Kino-Utopien
«Ich glaube, unser Ansatz ist in dieser Form nicht reproduzierbar. Ein ‹Tatort› wird nie mit Stromfahrrädern gedreht werden. Aber ich denke, einzelne Aspekte daraus kann man durchaus auch in der Breite umsetzen», erklärt Luchsinger. Eine vegane Ernährung am Set oder der Einkauf von Solarstrom sind theoretisch für alle Filmproduktionen möglich. «Grundsätzlich müssen alle darauf achten, weil jede Einsparung einen Einfluss hat. In der nahen Zukunft werde ich sicher keinen Film drehen, für den ich dreimal um die Welt fliegen muss», ergänzt der Filmemacher.
Mit dem Filmprojekt möchte man letztendlich nicht anprangern, sondern Auswege aus der Klimakrise aufzeigen. «Diese ist da, wir müssen uns jetzt verändern», sagt der Regisseur. Man könne die Situation aber nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance wahrnehmen. Und genau dafür eignet sich das Kino als sinnlicher Ort, an dem Utopien und Ideen auf verschiedenen Ebenen verständlich vermittelt werden können. «So kann man auch ein belastetes Thema wie die Klimakrise behandeln», erklärt Luchsinger. Inspiration statt Weltuntergang, denn von Dystopien gibt es im Kino schon genug.
Einen genauen Veröffentlichungstermin hat «Der Wert der Dinge» noch nicht. Seit Ende Mai ist er allerdings fertiggestellt. Das nächste Ziel ist die Premiere auf einem Filmfestival. Dazu hat man den Dokumentarfilm bei verschiedenen Festivals eingereicht. «Wir wollen auch eine kleine Tour mit dem Fahrradgenerator machen und Menschen zur Stromproduktion für die Filmprojektion einladen», erzählt Luchsinger. Damit das Thema Nachhaltigkeit nicht nur in den Köpfen ankommt.
Der Wert der Dinge Wie lässt sich das Leben nachhaltiger gestalten? Mit dieser Frage beschäftigen sich Bauingenieur Felix, Modedesignerin Sanaz und Food-Aktivist Dominik. Sie suchen lieber Lösungen, als nur darüber zu diskutieren. Felix experimentiert mit Lehm als Baustoff. Sanaz hat ihr eigenes Modelabel, für das sie vegane und recycelte Stoffe verwendet. Dominik arbeitet auf einem biodynamischen Bauernhof, merkt aber schnell, dass er mit politischem Engagement mehr bewirken kann als mit Gemüseernten.