Sind Menschen im Alter häufiger von Depressionen und Einsamkeit betroffen als jüngere? Priska Widmer ist Kursleiterin des Bildungsverbunds Luzern, Unterwalden und Zug des Schweizerischen Roten Kreuzes, sowie Erwachsenenbildnerin und Expertin für Intensiv- und Anästhesiepflege. Im Interview spricht sie darüber, was ältere Menschen tun können, um eine solche Situation möglichst zu vermeiden – aber auch, wie wir als Gesellschaft Rahmenbedingungen schaffen können, damit sich ältere Menschen möglichst integriert fühlen.
Priska Widmer, wie unterscheidet sich Einsamkeit im Alter von Einsamkeit in anderen Lebensphasen?
Grundsätzlich ist das Gefühl dasselbe. Im Gegensatz zu jungen Menschen haben ältere Personen zum Beispiel aufgrund einer eingeschränkten Mobilität oder gleichaltriger verstorbenen Bezugspersonen mehr Mühe, gegen das Gefühl von Einsamkeit etwas zu unternehmen.
Gibt es Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Menschen in Bezug auf Depressionen?
Das Krankheitsbild der Depression ist die häufigste psychische Erkrankung im Alter. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Bei jüngeren Menschen ist die bipolare Störung die häufigste psychische Erkrankung. Während der letzten Jahre ist eine Zunahme von Depressionen im Alter festzustellen, dies auch wegen der Auflösung von familiären Strukturen und von sozialen Kontakten.
Welche Anzeichen deuten darauf hin, dass jemand an einer Depression leiden könnte?
Bei einer Depression ist die Stimmung deutlich gedrückt, man zeigt auch kein Interesse und keine Freude mehr. Weiter ist eine Antriebslosigkeit oder eine erhöhte Ermüdbarkeit festzustellen.
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Priska Widmer ist SRK-Kursleiterin des Bildungsverbunds Luzern, Unterwalden und Zug. Bild: zVg
Gibt es bestimmte Faktoren im Leben älterer Menschen, die das Risiko für Depressionen und Einsamkeit erhöhen?
Eine schlechtere Schlafqualität oder Medikamente können das Risiko einer Depression im Alter erhöhen. Schlaganfallpatienten sind zudem gefährdet wegen Durchblutungsstörungen im Gehirn. Multimorbidität – das heisst, das Bestehen von mehreren gleichzeitigen Krankheiten bei Patientinnen – oder chronische Erkrankungen nehmen im Alter zu. Diese Erkrankungen werden nicht selten von einer Depression begleitet.
Welche körperlichen und emotionalen Auswirkungen können andauernde Einsamkeit und Depression auf ältere Menschen haben?
Langfristige Einsamkeit oder eine Depression können vielfältige Auswirkungen auf den Körper haben. Sie äussern sich beispielsweise als Kopfschmerzen, Rücken- oder Gliederschmerzen, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Müdigkeit, innere Unruhe, Gedächtnis- oder Konzentrationsschwierigkeiten.
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Einsamkeit kann als Krankmacher weitere Leiden begünstigen. Bild: Adobe Stock
Spielt der technologische Wandel, darunter das Internet und soziale Medien, eine Rolle dabei, dass sich ältere Menschen noch isolierter fühlen?
Ja, sicher. Denn ältere Menschen haben oftmals Mühe, mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten. Sie fühlen sich dadurch zunehmend ausgeschlossen und isoliert. Der technologische Fortschritt schränkt sie sozusagen ein und verunsichert sie.
Welche Hilfsangebote gibt es für ältere Menschen, die mit Depressionen oder Einsamkeit kämpfen?
Beim Schweizerischen Roten Kreuz Kanton Luzern gibt es verschiedene Angebote, um Menschen in einer verletzlichen Lebensphase zu unterstützen. So bieten wir zum Beispiel den Besuchsdienst an, wobei Freiwillige einsame, ältere oder kranke Menschen zu Hause besuchen, mit ihnen einen Spaziergang machen, ein Gespräch führen oder eine andere Aktivität unternehmen. Es tut auch gut, einfach einmal jemanden zu haben, der zuhört. Der Rotkreuz-Fahrdienst für ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen ist eine beliebte Dienstleistung, um die Mobilität und soziale Teilhabe aufrechtzuerhalten. Der Rotkreuz-Entlastungsdienst ist zudem dafür da, pflegenden und betreuenden Angehörigen eine Auszeit zu ermöglichen. Die Freiwilligenarbeit per se ist auch sehr beliebt bei älteren Menschen. Sie ermöglicht soziale Teilhabe, stiftet Sinn, man lernt neue Leute kennen, kann sich weiterbilden und tut erst noch etwas Gutes für seine Mitmenschen. Andere Institutionen wie Pro Senectute, die Kirche oder der Hausarzt sind weitere Anlaufstellen für ältere Menschen mit Depression.
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Eine Depression zeigt sich für Aussenstehende oftmals nur in Teilen. Bild: Adobe Stock
Wie können Familienangehörige und Freunde älteren Menschen helfen, wenn diese Anzeichen von Depression oder Einsamkeit zeigen?
Das Anteilnehmen von Familienangehörigen und Freunden bei älteren Menschen, die Anzeichen von Depression oder Einsamkeit zeigen, ist sehr wichtig. Hilfestellungen im Alltag sind wertvoll, zum Beispiel die Begleitung zum Hausarzt, das Aufzeigen von Hilfs- und Unterstützungsangeboten, ein Spaziergang in der Umgebung oder etwas Schönes zusammen machen. Wir bieten auch diverse Kurse zur psychischen Gesundheit oder zu psychischen Notfallsituationen an.
Welche präventiven Massnahmen können ergriffen werden, um Depression und Einsamkeit bei älteren Menschen zu vermeiden?
Die Pflege des Freundes- und Bekanntenkreises sowie die sozialen Kontakte, zum Beispiel in einem Verein oder bei einer Seniorengruppe, sind sehr wichtig. Auch die Freiwilligenarbeit wie beispielsweise beim Roten Kreuz ist eine Bereicherung und gibt viel Wertvolles zurück. Die Bewegung an der frischen Luft, eine gesunde, ausgewogene Ernährung sowie eine sorgfältige Schlafhygiene helfen, psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Vitamin D sowie die Therapie mit einer Tageslichtlampe unterstützen die psychische Stabilität.
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Eine ältere Person regelmässig auf einem Spaziergang zu begleiten, kann bereits sehr vieles bewirken. Bild: Adobe Stock
Wie kann die Gesellschaft insgesamt dazu beitragen, ein Umfeld zu schaffen, das Einsamkeit und Depression im Alter vorbeugt?
Es ist wichtig, mit den älteren Menschen aufmerksam und respektvoll umzugehen und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Zentral sind auch das Schaffen von guten Rahmenbedingungen wie angemessene Wohnkonzepte im Alter, zahlbare Mieten und Krankenkassenprämien.
Welche Ratschläge würden Sie älteren Menschen geben, die sich einsam oder depressiv fühlen?
Ich empfehle, bei Anzeichen von Depression oder Einsamkeit den Hausarzt zu konsultieren. Weitere Anlaufstellen sind das Rote Kreuz oder andere Kontaktstellen für das Alter.
Informationen unter: www.srk-luzern.ch/freiwillig-fuer-mehr-menschlichkeit