Pouletflügeli, Grillwürste und Fischchnusperli haben dem Zürcher Gastronomen Michel Péclard mit seinen See- und Badirestaurants Erfolg gebracht. Doch er kann auch anders. Sein neuester Auftrag: Die Gastronomie des Opernhauses Zürich neu ausrichten. Das im August eröffnete Pop-up-Restaurant Lulu auf der Terrasse bietet dabei einen Vorgeschmack. Am 14. September wird es zur musikalischen Saisoneröffnung richtig losgehen. Ein Gespräch über gastronomische Herausforderungen, den kulinarischen Geschmack von Milliardären und was die grosszügige Bezahlung von Mitarbeitern bringt.
Michel Péclard, Sie und ihr Geschäftspartner Florian Weber führen ab September die gesamte Gastronomie des Zürcher Opernhauses. Gab es eine Ausschreibung?
Michel Péclard: Nein.
Wie lief es dann?
Da kam plötzlich eine Mail rein – top top secret. Von einem Verwaltungsrat des Zürcher Opernhauses, Christian Berner. Er und eine Delegation wollten uns treffen. Sie eröffneten uns, dass das Opernhaus bei Oper und Ballett in der Weltklasse mitspielt, aber die Gastronomie weniger ihr Ding ist. Ich sagte ihnen daraufhin ganz offen, dass ich für Pouletflügeli und Fischchnusperli bekannt bin. Sie fanden das toll, denn das Opernhaus will das Elitäre abstreifen. Dennoch haben wir uns bereits einige tolle Gerichte einfallen lassen, und es wird eine der schicksten Karten und Lokale unserer Gastronomiegruppe werden.
Worin liegt die Herausforderung, eine solche Institution zu catern?
Wenn du heute an die Oper denkst und die Augen zumachst, denkst du: «Da gehöre ich irgendwie nicht dazu.» Dieses Denken wollen wir mit unserem Konzept brechen. Wenn es nicht einschlägt wie eine Bombe, würde es mich wundern.
Verraten Sie uns die Grundideen ihres Konzepts?
Wir dürfen vertraglich keine Gault-Millau-Küche machen und Schickimicki sind wir ja auch nicht. Es muss ein schönes Konzept sein, damit sich jeder wohl fühlt, weil die Oper ja eigentlich auch für jeden sein soll. Klar gibt es Operngäste und Sponsoren, die superreich sind. Aber es gibt ja auch Opernbesucher, die sich dieses Vergnügen einmal im Jahr leisten und sie sollen auch etwas essen können. Ich hatte für das neue Restaurant im ersten Stock des Bernhard-Theaters folgenden Traum: ein verruchtes französisches Lokal mit einer Sängerin im Edith-Piaf-Stil, einer Transperson, die irgendwo herumsteht, und einem Mann, der Klavier spielt… Dann bin ich aus meinem Traum aufgewacht und die Opernhaus-Verantwortlichen fanden das cool. Wir möchten erreichen, dass neben den Gästen auch die Künstlerinnen und Künstler nach der Vorstellung zu uns kommen. Vielleicht bekommen sie eine Flasche Wein spendiert und setzen sich ans Piano oder tragen ein Chanson vor. Das fehlt ja vollkommen in Zürich. Ich habe letztes und dieses Jahr an meinem Geburtstag eine Opernsängerin eingeladen, das kam so gut an. Ich meine, wie toll ist denn das, das kann kein Restaurant bringen.

Gute Stimmung am Pre-Opening des Pop-up-Restaurants Lulu auf der Terrasse zwischen Opernhaus und Bernhard-Theater. Bild: zVg
Was werden Sie im kulinarischen Bereich verändern?
Wir haben das Restaurant Bernadette, das neu Lulu heisst, in der Sommerzeit völlig umgebaut und realisieren dort meinen Traum. Ich bin sehr oft in Südfrankreich – meine Lieblingsdestination, gehe dort in Restaurants, sehe, dass alle Schweizer dort sitzen und essen – und höre, wie sie schwärmen. Die mediterrane Küche ist der Megatrend der Zukunft. Wenig Kohlenhydrate und viel Olivenöl. Im Lulu werden wir eine französisch inspirierte Karte mit Top-Produkten aus der Schweiz haben. Traditionelle Gerichte wie Züri-Geschnetzeltes oder ein Tartar wird man auch weiterhin geniessen können.
Woher kommt der Name Lulu?
Das klingt französisch, ist aber im Grunde eine Hommage ans Opernhaus. Denn Lulu heisst auch die Oper von Alban Berg, die 1937 im damaligen Stadttheater Uraufführung feierte.
Sie übernehmen auch die Pausen-Gastronomie in der Oper und im Bernhard-Theater. Was ist dort die Herausforderung?
Mit den Pausen haben wir uns extrem auseinandergesetzt. Es ist verrückt: Du hast über 1000 Leute, die du verpflegen kannst! Bisher war das Angebot eintönig: Du hast Schinkengipfeli und Chäschüechli wie vor 30 Jahren bekommen, sonst einfach nichts. Ich war im Frühling zu einem Milliardärs-Anlass in Monaco eingeladen, als einziger Nicht-Milliardär. Es gab in der luxuriösen Villa ein riesiges Buffet und daneben ganz kleine Sushi, die man mit der Zange nehmen musste. Alle haben sich auf diese Sushi gestürzt! Nun haben wir extra einen Sushi-Koch angestellt. Zudem servieren wir gesunde Sachen von lokalen Lieferanten. Daneben werden wir Mini-Pâtisseries und auch Glace anbieten. Die Speisen müssen klein sein, einfach essbar und man darf sich nicht den Mund dreckig machen, das haben wir lernen müssen. Es ist wie das Catering in einem Stadion, nur, dass nach der Pause die Türen geschlossen werden und niemand mehr Lärm machen darf.

Der Gastronom fühlt sich am und auf dem Zürichsee wohl. Bild: ben
Wie viele Restaurants führen Sie nun in Zürich und am Zürichsee?
Florian Weber: Es sind momentan 19.
Gibt es eine Zahl, bei der Sie beide sagen, genug ist genug?
Florian Weber: Jetzt müssen wir zuerst einmal die Opernhaus-Gastronomie eröffnen!
Michel Péclard: Für mich gibt es keine Grenze. Wir erhalten momentan Anfragen aus der ganzen Schweiz, Betriebe zu übernehmen. Ich kreiere einfach gerne neue Konzepte. Das ist mein Leben. Aber wir sind auch schon auf die Nase geflogen und konzentrieren uns deshalb auf den Raum Zürich und Zürichsee.
Mit dem im Mai eröffneten Pop-up-Betrieb Brüggli, das euer Kader-Angestellter Sandro Casaulta führt, seid ihr erstmals in Zug präsent. Wie ist die Saison bisher gelaufen?
Michel Péclard: Es läuft super. Das ist schon krass, wie die Zuger dankbar sind. Am Anfang hatten wir Angst, weil wir halt auch teurer sind. Wir verwenden eben schweizerische Produkte, dann kostet das Glace vom Bauernhof aus der Region halt zwei Stutz mehr…
Finden Sie es nicht selbst langweilig, wenn alle Zürcher Restaurants durch vier bis fünf Gastrogruppen – darunter ihre – geführt werden?
Ist das so? Ich finde, Zürich hat eine megaschöne Vielfalt. Im Vergleich zu anderen Städten gibt es alles. Aber viele Restaurants sind stehen geblieben und verändern sich nicht mehr. Das sind dann diejenigen, die motzen, weil sie kein Geld verdienen oder sagen, man könne den Angestellten nur minimale Löhne zahlen.

Unter anderem dürfen sich die Gäste im Restaurant Lulu auf Rigatoni mit Trüffel freuen. Bild: zVg
Apropos Löhne, Sie sorgen für Diskussionen in Ihrer Branche. Die letzte Schlagzeile lautete, dass Sie Mitarbeiter am Umsatz beteiligen und ein Servicemitarbeiter 16’000 Franken im Monat verdienen kann. Ist das ein Einzelfall oder normal in den Péclard-Betrieben?
Es handelt sich um einen Servicemitarbeiter, der rund 200’000 Franken Umsatz im Monat macht. Normal verdient ein guter Servicemitarbeiter bei uns 8000 bis 10’000 Franken, plus Trinkgeld. Seit der Einführung der Umsatzbeteiligung fehlt praktisch niemand mehr bei der Arbeit und die Krankheits-Absenzen haben stark abgenommen. Von 4000 Franken monatlich kann ja niemand leben in Zürich.
Wird man reich in der Gastronomie – oder kriegt man eher einen Herzinfarkt?
Beides ist möglich. Was heisst denn reich? Wir haben ein reiches Leben, weil wir mit positiven Menschen zu tun haben. Ich würde nie etwas anderes machen wollen. Auch wenn ich vielleicht weniger verdiene als ein Superbanker oder ein Scheidungsanwalt.
Wer ist Michel Péclard? Es gibt kaum einen Gastronomen in Zürich, der so polarisiert wie Michel Péclard (56). Der gelernte Buchhalter und diplomierte Hotelier, der jahrelang Rechnungswesen an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern (SHL) unterrichtete, sagt von sich selbst, er könne nicht kochen. Er bezeichnet sich als Chaoten, redet ungewohnt offen über Misserfolge und Ärgernisse. Péclard betreibt aktuell 19 zumeist saisonale Restaurants in Zürich, rund um den Zürichsee und auf der Ufenau. Ab Mitte September wird seine Firma Pumpstation Gastro auch die Opernhaus-Gastronomie übernehmen. Péclard führt die Betriebe zusammen mit seinem Geschäftspartner Florian Weber. «Ich bin der Aussen- und er der Innenminister», sagt Péclard. Sie beschäftigen im Sommer zeitweise über 700 Angestellte.