Die Zahl der Reptilien in der Schweiz sinkt von Jahr zu Jahr, obwohl diese Tiere einen wertvollen Teil der hiesigen Umwelt darstellen. Besonders schlecht steht es um die Schlangen, die teilweise immer noch illegal getötet werden. Doch können Tierfreunde den Reptilien im eigenen Garten unter die Arme greifen.
Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der Reptilien in der Schweiz immer weiter ab und heute gelten über 80 Prozent der 16 hier beheimateten Reptilienarten als gefährdet. Diese stehen entsprechend auf der «Roten Liste der Reptilien» in der Schweiz, welche nach einer ersten Erstellung 1994 zum zweiten Mal von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) neu evaluiert und im November veröffentlicht wurde. Die IUCN gilt als höchste Autorität, wenn es darum geht, den Zustand der Natur zu beurteilen und Massnahmen zu deren Erhaltung zu empfehlen.
Grund für das voranschreitende Aussterben der Reptilien in der Schweiz ist der fehlende Lebensraum – Feucht- und Trockenstandorte sowie Kleinstrukturen wie gestufte Waldränder, Steinhaufen, Hecken und Trockenmauern. Diese sind für die Tiere unersetzlich, doch eben immer seltener anzutreffen. «Ebenfalls ist problematisch, dass nicht bloss die Fläche, sondern auch die Qualität dieser wichtigen Lebensräume gesunken ist», sagt Biologe Niklaus Peyer, Infofauna-Karch-Regionalvertreter und Ansprechpartner für den Amphibien- und Reptilienschutz im Kanton Zug. Infofauna ist das nationale Daten- und Informationszentrum der Schweizer Fauna und berät als Kompetenzzentrum den Bund, die Kantone sowie die breite Öffentlichkeit vorwiegend bei Fragen bezüglich der Arterhaltung. Auf Reptilien spezialisiert ist die Beratungsstelle Karch, die Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz.
Vom Menschen verdrängt
«Zu dieser prekären Situation haben die Übernutzung, Ausräumung und Verbauung der Landschaft für Siedlungen und Verkehr geführt», erklärt Peyer. Die Menschen haben ihre Umwelt an die eigenen Bedürfnisse angepasst und unter anderem durch die Intensivierung der Landwirtschaft homogenisiert, sprich, wo früher Hecken, Wälder und Bäche die Landschaft zierten, werden heute zunehmend monotone Felder bewirtschaftet. Weiter wurde durch Eingriffe wie Lawinenverbauungen und Gewässerkorrekturen die Landschaftsdynamik reduziert, wodurch eine dynamische Entwicklung der Natur gehemmt wird. Obwohl neue kleine Orte geschaffen werden, um gefährdeten Tieren und Insekten Platz zu bieten, werden die Flächen, die der Mensch für sich beansprucht, nicht annähernd ausreichend kompensiert. «Dazu kommen weitere nachteilige Faktoren wie zum Beispiel durch pestizidbedingtes Insektensterben verursachter Nahrungsmangel, der Klimawandel, verschiedene Krankheiten und die Aussetzung oder Einwanderung von Neozoen, also von gebietsfremden Tierarten», erläutert der Biologe.
Folglich sind immer weniger Reptilienpopulationen zu finden und die verbliebenen zählen immer weniger Tiere. Dies liegt daran, dass die Lebensräume stark fragmentiert werden, also einzelne Populationen durch für die Reptilien unüberwindbare Hindernisse wie Autobahnen oder dicht bebaute Siedlungen immer stärker voneinander isolieren. «Dadurch droht Inzucht und die Tiere können keine neuen Lebensräume besiedeln», so Peyer. Auch kleine, scheinbar unbedenkliche Faktoren tragen zum Aussterben der Reptilien bei. So machen zum Beispiel Katzen gerne Jagd auf kleine Reptilien wie Blindschleichen, was deren Anzahl merklich verringert.
Schlangen bleiben unbeliebt
Besonders besorgniserregend ist der Bestand der Schlangen, denn alle ihrer in der Schweiz beheimateten Arten gelten als stark gefährdet und die Vipernatter gar als vom Aussterben bedroht. Besonders rasant hat sich der Rückgang der Ringel- und Schlingnatter seit der Veröffentlichung der Roten Liste im Jahre 2005 beschleunigt. In den beobachteten Kilometerquadraten ist die Population der Ringelnatter seit 2005 um 41,5 Prozent und diejenige der Schlingnatter um 37,5 Prozent gesunken. Die Zeit zwischen den zwei Beobachtungszeiträumen umfasste zwei Generationen der Schlangen, was bedeutet, dass sich die Anzahl der Schlangen über drei Generationen hinweg um 62,2 respektive56,3 Prozent verringert hat. Diese Tatsache lässt sich nicht zuletzt auf die Angst vor Schlangen sowie deren schlechten Ruf zurückführen, weswegen die eleganten Kriechtiere immer noch illegal vernichtet werden.
Dabei ist die Angst vor Schlangen hierzulande eigentlich unbegründet, denn nur zwei der heimischen Schlangenarten, konkret die Kreuzotter und die Aspisviper, sind giftig. Und auch das nur zu einem unbedrohlichen Grad, sodass deren Biss nur für Allergiker tödlich enden kann. «Von 103 der zwischen 1983 und 1995 registrierten Bissunfällen in der Schweiz waren nur 14 mit Komplikationen verbunden und seit 1960 ist nur ein einziger Fall mit tödlichem Ausgang bekannt», ergänzt Peyer. Auch beissen die Schlangen nur zu, wenn man sie nicht in Ruhe lässt oder unvorsichtig ist und zum Beispiel barfuss in unübersichtlichem Gelände spaziert. Doch nicht nur der Mensch, auch die sinkende Reptilienpopulation allgemein trägt wiederum zum Rückgang der Schlangen bei. So frisst zum Beispiel die gefährdete Schlingnatter Eidechsen und Blindschleichen, doch da diese immer seltener werden, fehlen sie auch als Nahrungsgrundlage.
Lebensräume schaffen und vernetzen
Trotz der alarmierenden Zahlen ist der Überlebenskampf der Reptilien in der Schweiz noch nicht verloren. «Dank Vernetzungs- und Fördermassnahmen konnte der Rückgang teilweise regional etwas vermindert werden», sagt Peyer. Durch Renaturierungen und Lebensraumaufwertungen, regelmässige Pflege- und Unterhaltsmassnahmen kann der Lebensraum für diese Artengruppe sowie für viele andere Tiere und Insekten vergrössert oder zumindest qualitativ verbessert werden.
Als Habitat bevorzugen Reptilien sonnige, mosaikartig strukturierte und vielfältige Lebensräume. Dazu gehören auch vegetationslose Orte mit vielen Versteck- und Sonnenplätzen wie Stein- oder Holzhaufen. Auch Komposthaufen und schattige Plätzchen auf weicher Erde, in die sich mühelos Löcher graben lassen, sind für Reptilien wertvoll, um Eier abzulegen. Nicht minder wichtig sind Überwinterungsplätze, die in Höhlen in Baumstrünken, in Blätterhaufen, Holzstapeln und Steinhaufen gefunden werden können.
Stock und Stein für Reptilien
Tierfreunde können in ihrem Garten sogenannte Reptilienburgen aus Stein- und Asthaufen gestalten und so zu einer reptilienfreundlicheren Umgebung in ihrer Nachbarschaft beitragen. Dadurch wird nicht nur die Biodiversität gefördert, sondern werden auch viele Schädlinge in Schach gehalten. Zum Beispiel gelten Eidechsen als natürliche Feinde von Insekten und Käfern, während Blindschleichen Nacktschnecken fressen, und Schlangen Jagd auf Mäuse machen.
Auch wer keine Reptilienburg im Garten haben möchte, kann mithelfen, mehr Lebensräume für Reptilien zu schaffen. «Für einen eidechsenfreundlichen Garten reicht es bereits, etwas Unordnung zuzulassen», sagt Peyer. Eine Blumenwiese statt eines Rasens zu säen und nicht den gesamten Garten aufs Mal oder zumindest nicht gleich tief zu mähen, bringt Abwechslung ins Terrain. Komposthaufen und Trockenmauern bieten ebenfalls Versteckmöglichkeiten für kleine Tiere und Insekten. Wer auf Unkrautvernichtungsmittel und Schneckenkörner verzichtet, macht den Garten umso tierfreundlicher.
Wer ein Reptil erspäht, sollte am besten zum Mobiltelefon greifen, ein Foto schiessen und es auf der Plattform Webfauna von InfoFauna und dem Karch hochladen, denn hier werden Sichtungen von Reptilien festgehalten. «Solche Funde zu melden ist wichtig und wertvoll, denn nur, wenn man weiss, welche Tiere wo vorkommen, können entsprechende Schutz- und Vernetzungsmassnahmen umgesetzt werden», sagt Peyer und appelliert so an die Bevölkerung.