Ein Gramm zu viel hier, eine Körbchengrösse zu wenig da – nie haben wir uns mehr mit dem Bild des idealen Körpers auseinandergesetzt als heute. Und nie haben wir mehr gegen dieses vermeintliche Bild rebelliert. Body Shaming und Body Love – zwei Lager, die im echten Leben und in den sozialen Medien einen erbitterten Kampf zu führen scheinen. Und mittendrin stecken die Werbe-Industrie und zahlreiche Tunings-Apps, Filter und Co. Die Dokumentation «Embrace» (Englisch für Umarmung) will dem Ganzen ein Ende setzen und bezieht klar Stellung für das Lager der Selbstliebe.
Der Kosmetikhersteller Dove war sicher einer der ersten, der gezeigt hat, wie in der Werbebranche getrickst wird. Der Spot „Evolution“ aus dem Jahr 2006 zeigte, wie aus einer normalen Frau mittels Grafikprogramm ein Model wurde – ein bisschen Fett weg hier, ein bisschen Augen vergrössern da, fertig war das Werbeplakat mit einer Frau, die mit der ursprünglichen Person nur noch wenig gemein hatte. Doch genau diese Werbebilder sind es, mit denen wir uns tagtäglich vergleichen. Die uns sagen, was schön ist. Eine Computeranimation zeigt das erstrebenswerte Ziel. Aber im wahren Leben gibt es kein Photoshop-Programm, welches uns optimiert. Grund für die Kampagne damals war eine Umfrage des Herstellers. Das Ergebnis war erschreckend: Nur zwei Prozent der befragten Frauen würden sich als schön bezeichnen.
Dabei ist es eigentlich ganz einfach, die eigene Schönheit zu sehen: Man muss sich bewusst dafür entscheiden. Das fällt den meisten jedoch schwer, da sie tagtäglich umringt sind von perfekt retuschierten Werbebildern und gepimpten Social Media-Kanälen. Das hat auch Spuren in der Gesellschaft hinterlassen und mündet schliesslich im Body Shaming. Übersetzt bedeutet dass, wenn wir nicht in die gesellschaftlich anerkannten Ideale passen, müssen wir uns Kritik von aussen anhören. Und genau diesem Thema hat sich der Film „Embrace“ angenommen. Damit unterstützen die Macher klar die Anhänger der Gegenbewegung – Body Love oder auch Body Positvity, die sich für mehr Selbstliebe einsetzen.
Wie weit die gesellschaftliche Kritik gehen kann, zeigt im Film das Beispiel der Fotografin Jade Beall, die Mütter vor und nach der Geburt fotografiert hat. Da ist halt nicht mehr alles straff und knackig. Eine Schwangerschaft ist für jeden Körper eine Herausforderung und die hinterlässt Spuren. Dennoch müssen sich diese Frauen Kritik anhören, wenn sie zwei Monate nach der Entbindung noch nicht aussehen wie Heidi Klum. Teilweise ist in den Kommentaren von „eklig“ und „Gruselkabinett“ die Rede.
So begann auch Taryn Brumfitts Geschichte. Sie gebar drei Kinder und wurde immer unzufriedener mit ihrem Körper. Sie trainierte hart, achtete auf ihre Ernährung und nahm schliesslich an einem Body Building-Wettbewerb teil. Sie hatte den vermeintlich perfekten Bikini-Body und all die anderen Teilnehmerinnen auch. Trotzdem hörte sie von diesen Frauen Sätze wie: „Mein Hintern ist nicht prall genug. Und hier habe ich eine unschöne Speckfalte.“ Da dachte sich die Fotografin: „Wenn diese Frauen schon unglücklich sind, die so hart an dem Körper gearbeitet haben, wie sollen sich dann alle anderen Frauen jemals wohlfühlen?“. Hinzu kam, dass die Arbeit am „perfekten Körper“ Zeit und Energie gekostet hat. Zeit, die sich nicht mit ihrer Familie verbringen konnte und Energie, die im täglichen Leben fehlte. Das machte sie noch unzufriedener als zuvor. Das sollte so nicht sein: „Da sagte ich mir, mein Körper ist ein Gefährte und kein Monument. Ich möchte ihn bewegen und gesund leben, aber auf meine Art.“ Hinzu kamen die Schuldgefühle ihrer Tochter gegenüber. Sie wollte ein Vorbild sein und zeigen, dass man den Körper so lieben kann, wie er ist.
Als sie mit den Diäten und dem exzessiven Sport aufhörte, kamen natürlich wieder ein paar Kilo dazu. Dennoch: „Das Diät-Buch wegzuschmeissen war das befriedigendste Gefühl in meinem Leben.“ So entstand ihr Vorher-Nachher-Foto, das sich rasend schnell im Netz verbreitete und sie dazu veranlasste, das Crowdfunding-Projekt zur jetzt erschienenen Dokumentation „Embrace“ anzustossen. Das Foto zeigt die Fotografin Brumfitt vorher beim Wettbewerb im Bikini und danach, als sie wieder anfing ihr Leben zu leben, wie es ihr in den Kram passte – mit zwei Kleidergrössen mehr. Trotzdem wirkte sie auf dem zweiten Bild glücklicher.
Nachdem sie das Foto veröffentlicht hatte, erhielt sie zahlreiche Nachrichten von Frauen, die mit ihrem eigenen Aussehen zu kämpfen haben. Das zeigte ihr, wie präsent das Thema im täglichen Leben ist. Seit Jahren nimmt die Body Love-Bewegung immer weiter zu. Auf ihrer Reise um die Welt hat Brumfitt auch Frauen getroffen, die nicht nur gegen ein paar Kilos kämpfen, sondern viel Schlimmeres erlebt haben. Wie zum Beispiel Sportlerin und Ex-Model Turia Pitt, die während eines Marathons in ein Buschfeuer geriet und deren Hautoberfläche zu 64 Prozent verbrannt war. Sie hat gelernt über den Dingen zu stehen und wagt heute sogar die Behauptung, dass der Unfall das Beste ist, was ihr je passieren konnte, weil es ihr die Augen geöffnet hatte. B. Jeffrey Madoff kann das bestätigen, denn erst wenn die „Big 4“ – Tod, Krankheit, Trennung oder Katastrophe – eingetreten sind, weiss man, dass es in der Realität nicht nur um äusserliche Schönheit geht, sondern es wichtigere Dinge gibt.
Die deutsche Schauspielerin Nora Tschirner ist via Facebook auf die Kampagne zur Finanzierung der Dokumentation aufmerksam geworden und hatte eine grössere Summe gespendet. Für sie selbst ist das Thema eine grosse Herzensangelegenheit. So kam sie als Executive Producer dazu. „Mein Körper ist mein Seelenverwandter“, gesteht sie selbst im Film. Und das müssen sich alle Frauen klar machen und aufhören dagegen anzukämpfen. Sie selbst darf sich in den Medien immer wieder Body Shaming anhören.
Man kann nur hoffen, dass sich die Bewegung für ein positiveres Körperbewusstsein auch in Zukunft weiter durchsetzen wird. Denn das ständige Diäten und Rechtfertigen von zwei, drei Kilo mehr, einer grossen Narbe auf der Haut oder Dellen am Schenkel ist auf Dauer ermüdend und anstrengend. Hinzu kommt die seelische Belastung. Selten sind Frauen in der Lage, bestimmte Unternehmungen wegen ihres Körpers zu geniessen – allen voran der Tag im Freibad oder am Strand. Das Damokles-Schwert der Size-Zero-Armee mit makelloser Haut schwebt ständig darüber und führt zu einem eher unentspannten Tag. Dabei gibt es doch nichts besseres, als an einem heissen Tag am und im Wasser die Seele baumeln zu lassen.
„Sogar das Mädchen aus dem Magazin hat nicht den Körper im Magazin“, stellt Brumfitt fest, als ein Foto von ihr im Fotostudio der australischen „Cosmopolitan“ so bearbeitet wird, dass es in das Ideal passt. Mia Freedman, ehemalige Herausgeberin der Zeitschrift, sah das ähnlich und wollte eine Size 16-Frau in einer Fotoserie und auf dem Cover vorstellen. Doch sie fand weder Designer noch Fotografen oder Stylisten, die sie bei ihrem Vorhaben unterstützen wollten. Das zeige, wie verkorkst das Schönheitsbild ist.
Wie weit dies gehen kann zeigt die Geschichte einer Magersüchtigen, die sich bis auf die Knochen heruntergehungert hat. In ihrem Gesicht sind die Spuren ihres täglichen Kampfes mit dem Dünnsein und dem Essen deutlich zu sehen – „Bitte hört nicht auf zu essen!“, ist ihr Appell an die Zuschauer. Obwohl sie dem vermeintlichen Ideal vom Dünnsein entspricht, ist sie alles andere als glücklich. Den Kampf um den perfekten Körper hat sie eindeutig verloren – und dabei auch sich selbst. Die Zahl der Magersüchtigen steigt seit Jahren trotzdem stetig an. Das liegt neben dem verkorksten Idealbild sicher auch an der Tatsache, dass makellose Körper und eine dünne Silhouette automatisch mit Gesundheit gleichgesetzt werden. Dabei ist das kein Indiz dafür. Dickere Menschen und Frauen mit Cellulitis an den Schenkeln können fit und gesund sein und haben teilweise bessere Blutwerte als dünne Models.
Ungeachtet der Tatsache, dass Dünne gleichgesetzt werden mit Disziplin und Gesundheit, müssen auch sie sich mit Body Shaming auseinandersetzen. Unsere Interviewpartnerin Kerstin Cook durfte sich schon einiges anhören und auch Topmodel Kate Moss hat ihr Fett wegbekommen – weil sie keinen trainierten Körper hat, sondern „skinny fat“ ist (schlank, aber trotzdem Fettpölsterchen). Und selbst die durchtrainierten Frauen kämpfen mit Kritik: Erfolgreiche Sportlerinnen werden als unweiblich und unsexy abgestempelt. Nicht mal mehr die Männer sind davor sicher. Als Schauspieler Vin Diesel einen Bauchansatz bekam, enthielten die Schlagzeilen nicht selten Worte wie „Bierbauch“, „Wampe“ und „faul“. Daher ist die Zahl der magersüchtigen Männer gleichermassen angestiegen – inzwischen sind zehn bis 15 Prozent der Patienten vom „starken Geschlecht“. Fitness-Studios und Anabolika leisten ihr Übriges. Erkenntnissen der Champman-Universität zufolge sind 21 Prozent der Männer unzufrieden mit ihrem Aussehen. 22 Prozent haben sogar schon versucht, ein unliebsames Körperteil während intimer Stunden zu verdecken.
Die sozialen Medien haben Body Shaming eine grosse Bühne geschaffen. Wir können uns mit der ganzen Welt vernetzen, mit der ganzen Welt vergleichen und über die ganze Welt meckern. Auffallend ist dabei, man kann es dort keinem recht machen kann. Dünnen Mädels unterstellt man, sie vermitteln ein ungesundes Schönheitsideal und „Plus Size“-Frauen wird vorgeworfen, sie seien schon ungesund und nur zu faul für Sport und richtige Ernährung. Die Folge der ganzen Kritiken sind nicht zuletzt Apps, mit denen man eben schnell die Schnappschüsse optimieren kann. Besonders populär ist die App Facetune. Mit Hilfe von verschiedenen Werkzeugen lässt sich der Teint dunkler machen, die Oberschenkel straffen und die Taille etwas schlanker ziehen. Einige populäre Web-Stars gehen teilweise noch weiter – kein einziges Bild ist unbearbeitet. Überall wird optimiert und ein Filter darüber gelegt. Gerade auf junge Mädchen haben die Influencer grossen Einfluss und helfen so ein unrealistisches Selbstbild weiterzuvermitteln.
Daher gibt es neben „Embrace“ zahlreiche weitere Initiativen, die sich für ein realistisches Körperbild einsetzen. So zum Beispiel vergangenes Jahr in Amsterdam: Frauen mit den verschiedensten Körperformen haben blank gezogen, um sich gegen Body Shaming und Mobbing einzusetzen. Die Aktion „Body Love“ setzt sich auf der ganzen Welt für mehr Selbstliebe und Akzeptanz ein. Auch in den sozialen Medien machen sie sich stark.
Der Online Shop Asos verzichtet seit einigen Tagen auf Photoshop. Die neuen Bademode- und Wäschekollektionen werden an zwar immer noch schlanken, aber unretuschierten Models gezeigt. Zu sehen sind neben den neuesten Schnitten und Trendfarben nun auch Dehnungsstreifen, Narben, ein kleines Speckröllchen und Pigmentflecken. So wie im echten Leben eben. Klar handelt es immer noch um Modelkörper, das ist schliesslich auch deren Kapital. Aber der Schritt geht in die richtige Richtung und zeigt: Auch Frauen, die mit ihrem Körper Geld verdienen, haben kleine Makel, die allerdings noch lange nicht das Ende der Welt bedeuten.
Trotz aller Bemühungen der Body Love-Bewegung stossen Firmen wie Dove oder seit kurzem auch Tchibo – beide setzen für ihre Werbungen normale Frauen mit unterschiedlichen Körpern und „Schönheitsfehlern“ ein – immer wieder auf Kritik. Unter den Postings sind Kommentare zu lesen wie: „Die sind doch nur zu faul zum Sportmachen“, „Wenn ich solche Dellen hätte, würde ich lieber im Schweiss ertrinken, als eine kurze Hose zu tragen“ oder „Mit dem Gesicht würde ich mich ja nicht auf die Strasse trauen“.
Was bewegt andere dazu, Menschen aufgrund ihres Aussehens zu diskriminieren? Die eigene Unzufriedenheit, wie Psychologen bereits in diversen Untersuchungen herausgefunden haben. Somit setzt sich ein Teufelskreis in Gang: Menschen, die unzufrieden mit sich sind, kritisieren andere, die dann ebenfalls unzufrieden werden. Diese Spirale muss durchbrochen werden. Statt andere zu beleidigen, sollte man lieber Komplimente verteilen, auch mal an sich selbst. Und Geschmack ist sowieso relativ. Irgendwer auf der Welt findet diese Person schön – sei selbst der Erste.
Tipps für ein besseres Körpergefühl:
- Sei liebevoll: Lächle dich an, wenn du in den Spiegel schaust. Das Gehirn schüttet bereits nach wenigen Sekunden Glückshormone aus, die eine positive Grundstimmung erzeugen.
- Sei positiv: Mach dir und deinem Körper Komplimente und sprich diese auch laut aus. Je öfter du sie sagst, desto eher glaubst du auch daran.
- Schreib einen Liebesbrief: Und zwar an dich.
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