Arbeitet bald niemand mehr im Büro?

HR-Experten über die Herausforderung Homeoffice

Begriffe wie Homeoffice oder Remote Work haben seit Covid-19 massiv an Bedeutung gewonnen. Von zuhause aus oder sonst wo ausserhalb des Büros zu arbeiten, kann zum Vorteil von Unternehmen wie Mitarbeitenden sein. Doch birgt das Konzept auch Gefahren.

Die Coronapandemie hat die Welt in vielerlei Hinsicht nachhaltig verändert. In unzähligen Belangen gehört der Prä-Covid-Status für immer der Vergangenheit an. So lässt sich auch in der Arbeitswelt das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen. Homeoffice, Videocalls und automatisierte Arbeitsprozesse erlangten sprunghaft einen starken Bedeutungszuwachs und sind in etlichen Betrieben seither nicht mehr wegzudenken. Damit hat sich vielerorts auch das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmerinnen gewandelt. Sich des Potenzials nun bewusster, pochen Letztere unter anderem auf flexiblere Arbeitsorte und -zeiten.

Zahlreiche Spezialistinnen aus dem Bereich Human Resources (HR) sind der Überzeugung, dass von diesen Veränderungen auch die Unternehmen profitieren können. So biete sich umso mehr die Möglichkeit, dass die Mitarbeiter ihr volles Potenzial ausschöpfen können, wenn sie zu Zeiten und an Orten arbeiten können, die ihre Produktivität und Kreativität fördern. Denn weshalb soll ein ausgeprägter Nachtmensch und Spätaufsteher täglich spätestens um acht Uhr im Büro sein, wo er doch seine Stärken erst später voll zur Entfaltung bringen kann?

Neue Fragen stellen sich

Im Zuge dieser Entwicklungen werden Führungskräfte mit Fragen konfrontiert, die sie sich in der Vergangenheit nie gestellt hatten. Beispielsweise was das Vereinbaren einer Präsenzzeit anbelangt oder ob es einen Wochentag mit Anwesenheitspflicht geben soll. Patrick Mollet ist Unternehmer und beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen wird. Er bestätigt, wie anspruchsvoll es aktuell ist, eine gute Führungskraft zu sein – zumal sie oftmals von ihren Organisationen keine Unterstützung erhalten würden. «Führung ist schlussendlich auch ein Handwerk, welches man lernen muss», sagt er.

Patrick Mollet

Patrick Mollet ist seit mehr als 20 Jahren als Unternehmer und Investor tätig und hat in dieser Zeit mehrere Unternehmen gegründet. Bild: zVg

Eines, wofür es keine Patentlösung gibt. Letztendlich müsse jede Organisation für sich herausfinden, was für sie passend ist. «Wir sind gerade alle am Experimentieren und Lernen, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen kann und wie wir uns selbst und unsere Organisationen dafür fit machen können. Dabei gibt es weder richtig noch falsch», so der Zuger weiter.

Anwesende im Vorteil?

Für HR-Spezialistinnen hat der Austausch untereinander entsprechend noch einmal an Bedeutung gewonnen. In der Region bietet sich dafür insbesondere die HR-Community Zentralschweiz an. Initiiert von der Opes AG, dient die Plattform dazu, Wissen auszutauschen, neue Sichtfelder oder auch Praxis-Einblicke zu erhalten. Andrea Castro und Tamara Zielke von der HR-Community Zentralschweiz betonen, dass die Führungskräfte «lernen» müssen, den Mitarbeiterinnen zu vertrauen – ohne sie täglich zu sehen.

Tamara Zielke

Tamara Zielke und Andrea Castro betonen, dass gerade die jüngeren Generationen äusserst viel Wert auf Remote Work legen. Bild: zVg

Was wiederum die Beurteilung derer erschweren kann, zumal der Proximity Bias besagt, dass wir die Leistung von Mitarbeitenden positiver beurteilen, wenn sich diese physisch in unserer Nähe befinden. Als weiterer Nebeneffekt kann der Output im Vergleich zur (zwischen)menschlichen Komponente an Bedeutung gewinnen. Stellt sich die Frage, ob dieser Aspekt von Fernarbeit, Remote Work genannt, unter diesen Voraussetzungen trotzdem zum Vorteil für alle Beteiligten gereichen kann.

Gewisse Freiheiten müssen bleiben

Gemäss Castro und Zielke liegt der Vorteil für ein Unternehmen darin, dass durch Remote Work und Digitalisierung das Controlling und damit die Leistungsmessung intensiviert wurde. Dies führe möglicherweise zu einem für das Unternehmen spürbaren Effizienzgewinn bei den Mitarbeitenden. Die zwischenmenschliche Komponente dürfe dadurch aber nicht verloren gehen und die Mitarbeitenden dürften sich nicht beobachtet fühlen. «Freiräume und Vertrauen sind wichtig, damit sie Begeisterung für die Aufgabe leben», sagen sie und sprechen damit auch die intrinsische, sprich innere, Motivation an.

Diese wird von den Unternehmen oftmals unterschätzt. Führungskräfte seien leider sehr gut darin, ihre Mitarbeitenden durch ihr Verhalten zu demotivieren, sagt Patrick Mollet. «Statt sich zu fragen, wie man die Mitarbeitenden motivieren kann, müsste man sich vielmehr überlegen, was sie demotiviert», so das Jurymitglied von «Die Höhle der Löwen Schweiz». Und Tamara Zielke fügt einen weiteren Denkfehler vieler Arbeitgeber an: «Sie konzentrieren sich auf die extrinsische Motivation; sei es durch Lohnerhöhungen, Status oder Provisionen.» Dabei könne die intrinsische Motivation mit «einfachen» Massnahmen gefördert werden wie z.B. durch das Schaffen einer angenehmen Arbeitsatmosphäre, der Verdeutlichung vom Sinn der Arbeit und Aufgaben oder das Geben von Feedback und Wertschätzung zu erbrachten Leistungen.

Zuhause und doch bei der Arbeit

Remote Work mag für Unternehmen wie Mitarbeitende Chancen ermöglichen, doch ist es keineswegs ein Allheilmittel. Nicht nur birgt es die Gefahr, ein intaktes Teamgefüge und die soziale Komponente zu schwächen, sondern kann es auch die Abgrenzung des Privat- vom Berufsleben erschweren, da unter Umständen die räumliche Trennung entfällt.

Freelancer Homeoffice Küche

Die Küche dient sogleich auch als Arbeitsplatz. Bild: kasto / Depositphotos

Patrick Mollet bestätigt, dass die ständige Verfügbarkeit zu Erschöpfung, Stress und Burnout führen könne. «Hier spielen die Führungskräfte eine zentrale Rolle. Denn letztendlich geht es um die Kultur: Es darf nicht die Erwartung sein, dass die Mitarbeitenden jederzeit per Telefon verfügbar sind und jede E-Mail innert einer Stunde beantworten.» Dies im Gegensatz zu Ländern wie China und Japan, wo eine ständige Erreichbarkeit vielerorts als erstrebenswert gilt. Unter anderem wird dies durch das 996-Arbeitsmodell manifestiert: Gearbeitet wird von 9 bis 21 Uhr, sechs Tage die Woche. Wobei man für die Vorgesetzten eigentlich rund um die Uhr erreichbar sein sollte.

Die Leute zur Rückkehr bewegen

Gerade als Mittel zur Abgrenzung können regelmässige Bürotage also dienlich sein. Dies ist mit ein Grund, weshalb die wenigsten Mitarbeitenden ausschliesslich von zuhause aus arbeiten wollen; vielmehr wird ein gesunder Mix angestrebt. Wobei die Frage ist, weshalb man ins Büro geht. «Wenn man tatsächlich mit Kolleginnen interagiert und kreative Arbeit leistet, ist die Zusammenarbeit vor Ort sinnvoll. Wenn aber die Mitarbeitenden ins Büro beordert werden und dort primär E-Mails beantworten und den ganzen Tag in Online-Meetings sitzen, macht dies keinen Sinn und sie hätten sich den Arbeitsweg sparen können», gibt Mollet zu bedenken.

Andrea Castro

Es braucht laut Andrea Castro Anreize für die Mitarbeitenden, um ins Büro zurückzukommen. Bild: zVg

Sollten die Mitarbeitenden trotzdem nur schwer von einer teilweisen Rückkehr in den Betrieb zu überzeugen sein, kann von Seiten des Unternehmens mit verschiedenen Anreizen nachgeholfen werden. Andrea Castro erwähnt in diesem Zusammenhang sowohl die materiellen Aspekte wie die Beteiligung an ÖV-Tickets, kostenlose Parkplätze, Kaffee und Früchte sowie attraktive Büros als auch die immateriellen, die für eine Rückkehr sprechen können: «persönlicher Austausch mit dem Team, frische Luft auf dem Arbeitsweg oder ganz einfach gemeinsame Erlebnisse, die das Leben bereichern», so Castro.

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