Mit einem alten Brauch beginnt die Chriesisaison im Kanton Zug. Wenn die grösste Glocke der Kirche St. Michael am 24. Juni zur Mittagsstunde erklingt, rennen Zweierteams mit Leitern ausgerüstet durch die Zuger Altstadt – als könnten sie es kaum erwarten, die ersten Chriesi zu pflücken. Neu treten Frauen sogar in zwei Rennen an und Schülerinnen messen sich in einem Stafettenlauf.
Ende Juni feiert der Chriesi-Kanton den Erntestart der süssen, roten Steinfrucht mit einem alten Brauch, dem neues Leben eingehaucht wurde. Am 24. Juni versammeln sich die Zuger zum 14. Mal in Folge zum sogenannten Chrisesisturm bei der Kirche St. Michael. Die Chriesigloggä – die grösste Glocke der Kirche – läutet um 12 Uhr zum Startschuss für ein ungewöhnliches Rennen.
Männer- und Schülerteams schnappen sich jeweils zu zweit eine Holzleiter und rennen in der Altstadt um die Wette. Dabei tragen Kinder nur eine vier Meter lange Leiter, während sich Männer mit dem Gewicht einer acht Meter langen Leiter das Rennen erschweren. Dieses Jahr werden die Schülerinnen jedoch nicht in einem gewöhnlichen Rennen gegeneinander antreten, sondern sich in einem Stafettenlauf messen. Dabei werden sie erstmals die ganze Strecke rennen und die Leiter jeweils wie eine Stafette weiterreichen. Auch Frauen werden gegeneinander antreten, tragen jedoch statt Leitern jeweils einen Rückentragkorb, die sogenannte Hutte. Wegen der erhöhten Teilnehmerinnenanzahl werden zum ersten Mal zwei Frauenrennen veranstaltet.
Gut Kirschen essen
Die Rennstrecke beginnt bei der Liebfrauenkapelle, führt zum Landesgemeindeplatz und wieder zurück. Die Gewinnerinnen und Gewinner des Chriesisturms werden mit donnerndem Applaus und einem kleinen Preis belohnt, während das jeweilige Verliererteam seinen Startplatz im Folgejahr an ein anderes Duo abgeben werden muss. Jedes Jahr lockt das Rennen gleichermassen Touristen wie Einheimische zum Zusehen an und verbindet Zünfte, Politikerinnen sowie Passanten mit einer lockeren Feststimmung.
Bereits ab 11 Uhr wird der offizielle Beginn der Chriesiernte auf dem Landesgemeindeplatz mit Chriesiwurst und Kirschtorte gefeiert. Um 12 Uhr starten die ersten Wettrennen und bereits eine Stunde später werden die Gewinnerteams auf dem Landesgemeindeplatz verkündigt. Die Feier wird in einer Festbeiz sowie mit Verkaufsständen mit Kirschen bis 14 Uhr die Tradition des Kantons zelebrieren.
«D’Chriäsigloggä lüütet, dä Chriäsisturm god lous!»
Der Brauch des Chriesisturms wurde erstmals 1711 in einer Urkunde erwähnt und 1769 wurde auch über die «Erlaubnis-Glocke» geschrieben. Bis Ende 19. Jahrhundert war eine grosse Fläche der Zuger Allmend mit Kirschenbäumen versehen. Diese galten als Eigentum der Stadtzuger Bürger. Wenn die Chriesiglogge eine Viertelstunde lang ohne Unterbruch läutete, wussten alle Zuger, dass sie nun auf der Allmend Kirschen pflücken durften.
Sich vorher an den Chriesi zu erfreuen, war strengstens verboten. Um sicherzugehen, dass niemand vorzeitig von den Kirschen kostete, wurden auf der Allmend «Chriesiwächter» stationiert, die vor der Erntezeit Tag und Nacht Ausschau hielten. Wer von den Wächtern erwischt wurde, musste eine Busse bezahlen oder wurde ins Zytturm-Gefängnis gesperrt. So erging es einigen Baarern, die sich im Jahr 1751 auf die Zuger Allmend geschlichen hatten, um sich an den Kirschen zu erfreuen. Der Kirschenanbau in Zug gehört bis heute laut der UNESCO zu den lebendigen Traditionen der Schweiz. Also lohnt es sich auf jeden Fall, die Chriesiernte als Brauchtum aufrechtzuerhalten.