«Wo Kinder spielten»: Filmemacherin zeigt den Wandel des Ägeritals

Vom historischen Kurort zur Moderne

Das Ägerital zwischen der eigenen Geschichte und dem Heute: Mit drei Protagonisten erzählt Dokumentarfilmerin Claudia Steiner vom historischen Kurort für Kinder, von der Gegenwart des Tals und davon, was wir hinterlassen werden. Was verbindet das alte und das neue Ägeri? Die Dreharbeiten laufen nach einer coronabedingten Unterbrechung aktuell wieder.

Im 20. Jahrhundert war das Ägerital als Kurort bekannt. Um den Ägerisee boten das Kindererholungsheim Heimeli oder das Kinderkurhaus Theresia einen Zufluchtsort für kranke Kinder aus der ganzen Schweiz. Bis in die 1960er Jahre kamen noch zahlreiche Menschen zur Erholung in die Zuger Kurstätten. Als eine seiner letzten Amtshandlungen äusserte der letzte Präsident des Kur- und Verkehrsvereins von Unterägeri Hansruedi Albisser 2017 den Vorschlag, dass die Geschichte des Ägeritals in Filmform festgehalten werden sollte. Aus diesem Wunsch entwickelte die Filmemacherin Claudia Steiner ihre eigene Idee für einen Dokumentarfilm. Seit 2018 arbeitet sie nun an dem Filmprojekt «Wo Kinder spielten – Das Ägerital im Wandel».

Seit dem Projektstart hat sich nicht nur im Ägerital einiges geändert. Das geplante neue Kinderhotel, das die Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft bilden sollte, wurde nicht realisiert. Dazu gesellten sich eine aufwendige Finanzierung des Projekts und eine weltweite Pandemie. Im Zentrum des Films stehen nun drei Personen, die jeweils eine besondere Beziehung zum Ägerital haben und verschiedene Generationen der Einheimischen repräsentieren. Dabei hat Claudia Steiner selbst eine Beziehung zum Ägerital, wie sie im Gespräch mit FonTimes erzählt. Die Filmemacherin und Produzentin lebt und arbeitet heute in Meggen, ist aber nur 15 Kilometer vom Ägerital entfernt im Kanton Schwyz aufgewachsen.

Die Verbindung zum Ägerital

«Ein Dokumentarfilm sollte meiner Meinung nach immer etwas mit dem Filmemacher zu tun haben», erzählt Claudia Steiner. Sie habe bei ihren Besuchen im Tal vieles entdeckt, das sie ansprach. Wie die vielen alten Häuser in Verbindung mit den Menschen, deren Wurzeln nicht im Ägerital liegen. Steiner möchte nicht nur eine Geschichte über das Vergangene machen, sondern auch von der stattfindenden Veränderung erzählen. «Man realisiert erst, was sich verändert, wenn man sieht, was wir früher waren», erklärt sie. Die Historie soll als Klammer für die Handlung funktionieren.

Die Regisseurin Claudia Steiner (zweite von rechts) mit ihrem Team bei Aufnahmen im Engelberger Tal für ihren letzten Kinodokumentarfilm «Das Erbe von Willy Amrhein»

Die Regisseurin Claudia Steiner (zweite von rechts) mit ihrem Team bei Aufnahmen im Engelberger Tal für ihren letzten Kinodokumentarfilm «Das Erbe von Willy Amrhein» (2016). Bild: doCfilm GmbH

Die Geschichte des Ägeritals scheint dabei in ihre bisherige Filmografie zu passen. 2014 brachte sie «Tönis Brautfahrt – Mit Senntenbauern über den Gotthard» in die Kinos, der dem Publikum die Welt der Senntenbauern in der Zentralschweiz näherbrachte. Mit «Das Erbe von Willy Amrhein» erzählte sie die Geschichte des Engelberger Kunstmalers zur vorletzten Jahrhundertwende. Steiner möchte bei ihrer Arbeit nicht nur in eine historische Ecke gedrängt werden, gesteht aber ihre Affinität zur Zeit des Übergangs ins 20. Jahrhundert. «Ich denke, es ist ein Privileg, wenn man weiss, was einen selbst und die Vorfahren geprägt hat», sagt Steiner. Der Fokus des aktuellen Films soll aber mehr auf dem Heute liegen.

Steiner betont, dass der Dokumentarfilm keine Auftragsarbeit sei. Die aufwendige Finanzierung ihres Autorenwerkes liegt ebenfalls in ihren Händen. Neben der öffentlichen Hand im Tal und Stiftungen half eine Crowdfunding-Kampagne, um auf das notwendige Drehstartbudget zu kommen. Über die Plattform Lokalhelden.ch kamen rund 39’000 Franken, mehr als ein Viertel des Gesamtbudgets, zusammen. Für die Schlussfinanzierung fehlen noch 30‘000 Franken. Steiner arbeitet damit im Vergleich zu anderen Dokumentarfilmen immer noch mit einem Minimalbudget. Für sie ist «Wo Kinder spielten» ein Herzensprojekt. Neben Regie und Buch übernimmt sie auch den Schnitt und arbeitet mit einem kleinen technischen Team aus Kamera- und Tonleuten sowie einem Nachbearbeitungsstudio zusammen.

Pandemie drückt die Pausentaste

Die Coronapandemie hat die Pläne für die Dreharbeiten stark durcheinandergebracht, aber sie gab der Dokumentarfilmerin auch zusätzliche Zeit, am Film zu arbeiten. Im Lockdown war plötzlich jeder auf sich selbst zurückgeworfen und mit Fragen beschäftigt, die sich auch im fertigen Film wiederfinden lassen sollen. «Vielleicht wird der Film durch die Pandemie noch anders, als ich es beabsichtigt hatte», hinterfragt Steiner. Stand Mitte Juni sind bereits ein Drittel der Dreharbeiten abgeschlossen. Auch die anhaltenden Folgen der Coronasituation nehmen einen Einfluss. Einer der drei Protagonisten, Fridolin Bossard, sitzt im Gemeinderat von Unterägeri. Dort fielen durch die Pandemie nicht nur Veranstaltungen aus, sondern auch die Möglichkeit zum Dreh war schlicht nicht gegeben, erzählt Claudia Steiner. Auch Themen wie Umzüge oder der Tod von Einwohnern hatten einen Einfluss auf die Dreharbeiten. Bis zum Frühling 2022 sollen aber alle Takes im Kasten sein.

Claudia Steiner interviewt für den Film über das Ägerital

Die Dreharbeiten für «Wo Kinder spielten» schreiten voran. Bild: doCfilm GmbH

Bei der Suche nach ihren Protagonisten hat Claudia Steiner mit vielen Leuten im Tal gesprochen, während sie das Drehbuch schrieb. Der 1948 geborene Eugen Häusler ist der älteste der drei lokalen Filmstars. Der ehemalige Lehrer ist lokal stark verwurzelt. Heute beschäftigt er sich immer noch als Musiker und mit der Geschichte des Tals. So bietet er selbst historische Führungen an. «Er weiss, wie Ägeri vor 50 Jahren war», erzählt uns Steiner.

Eine Region im Wandel

Eines der Themen, das der Film ansprechen möchte, ist der Wandel der Region. Auch im Ägerital verkaufen Einheimische ihre alten Häuser und an manchen Stellen entstehen stattdessen Neubauten. Die Be- und Verbauung der Schweiz ist dabei ein universelles Thema. Im Umgang mit der eigenen Historie könnte der Film auch für andere Orte stehen, glaubt Steiner. Ganz filmtypisch also: die Welt im Kleinen finden. «Ich finde, wir dürfen mal kurz innehalten und schauen, was wir mit den Hinterlassenschaften unserer Vorfahren machen», sagt Steiner. Die wirtschaftlichen, strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen – alles soll im Film über das Ägerital zusammenkommen.

Claudia Steiner interviewt Andrea Iten in einer Wohnung

Das Filmteam hat im letzten Frühsommer mit den Aufnahmen für «Wo Kinder spielten» in Ägeri begonnen. Im Bild Protagonistin Andrea Iten bei einem Interview. Bild: doCfilm GmbH

Mit ihrem Dokumentarfilm möchte Steiner auch Diskussionen anregen, die Menschen sollen sich Gedanken machen. Denn «ohne Zugang zur Geschichte können sich die Leute nicht mit ihr auseinandersetzen», zitiert sie ihren Protagonisten Eugen Häusler. Eine Zugangsmöglichkeit soll «Wo Kinder spielten – Das Ägerital im Wandel» werden. Wenn nichts mehr dazwischenkommt, soll der Film im Spätsommer 2022 seine Premiere feiern. Vielleicht ja auch ausserhalb des Ägeritals. Denn Heimat kann man auch an anderen Orten entdecken.

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