Im Falle von Richard Renggli und Roger Kämpf ist die Behauptung, sie kennen den Kanton Zug besser als die berühmte Westentasche, keineswegs übertrieben. Denn die beiden standen 42 respektive 40 Jahre im Dienste der Zuger Polizei, hatten den Dienstgrad des Adjutanten. Ihre Aufgaben im Dienst Wirtschaftsdelikte war es unter anderem, zu ermitteln und rapportieren, Befragungen und Hausdurchsuchungen durchzuführen. Ende vergangenen Jahres wurden sie pensioniert. Im Gespräch mit FonTimes verraten die beiden, ob sie bereits als Buben Polizisten werden wollten, wie einen die Polizeiarbeit verändern kann und warum der Beruf immer anspruchsvoller wurde.
Herr Kämpf, Herr Renggli, sie waren bis Ende letzten Jahres bei der Zuger Polizei im Einsatz, hatten jeweils den Dienstgrad des Adjutanten. Wie viel hatten Sie beide beruflich miteinander zu tun?
Kämpf: Wir arbeiteten beide im Dienst Wirtschaftsdelikte, früher hiess sie Betrugsgruppe.
Renggli: Davor arbeiteten wir bereits bei der Verkehrspolizei, der heutigen Bereitschaftspolizei, zusammen…
Kämpf: …Wobei ich nur ein Jahr lang dort tätig war, bevor ich 1983 zur Kriminalpolizei wechselte.
Renggli: Bei mir waren es immerhin zehn Jahre. Anschliessend wechselte ich zur Betrugsgruppe. Seither arbeiteten wir immer zusammen. Ich als Sachbearbeiter und Roger als stellvertretender Dienstchef.
Ich nehme an, nach Dienstschluss lag auch mal das eine oder andere gemeinsame Feierabendbier drin?
Renggli: Je mehr Personen der Dienst umfasste, desto weniger. Aber klar: Wir haben in der Freizeit gemeinsam Ausflüge unternommen, meist hat Werner oder Roger die Reisen organisiert, oftmals Höhlen- und Firmenbesuche.
Kämpf: Zudem organisierte unser Dienst für die gesamte Kriminalpolizei eine Zeit lang ein jährliches Skiweekend. Und es ist natürlich viel schwieriger, mit 15 Leuten einen gemeinsamen Termin für ein Feierabendbier zu finden als zu Beginn mit vier oder fünf Leuten.
Auch die technischen Hilfsmittel haben sich in Ihrer Dienstzeit gewandelt, wurden dank des rasanten technologischen Fortschritts immer zahlreicher und versierter. Wie sehr hat dies Ihre Arbeit erleichtert?
Renggli: Tatsächlich wurde die Arbeit dadurch mehr und nicht weniger. Zum Beispiel wurden die Formulare mehr. Zudem war die Internetkriminalität in unserem Dienst angesiedelt. Zu Beginn hatten wir noch keine Spezialisten, heute zählt die Zuger Polizei mehrere Cyberermittler in ihren Reihen.
Kämpf: Als die Digitalisierung erst gerade einsetzte, musste man bei einer Hausdurchsuchung einzig nach den entsprechenden Ordnern suchen. Später waren die Daten auf dem Server gespeichert, also nahm man diesen mit. Heute sind die Daten oftmals in einer Cloud gespeichert. Entsprechend wurde unsere Arbeit durch die Digitalisierung erschwert.
Renggli: Zudem hat die Masse der Daten stark zugenommen. Da gilt es, abertausende E-Mails auszuwerten, was mit einem enormen Arbeitsaufwand verbunden ist.
Klingt, als wäre der Ruf der Zuger Polizei nach zusätzlichen personellen Ressourcen nicht unbegründet.
Kämpf: Bei der Rechtshilfe sowie im Bereich der Wirtschaftsdelikte ist der Bedarf an zusätzlichen Mitarbeitenden sicher vorhanden. Ohne zusätzliche Stellen steigt ganz einfach die Belastung der bestehenden Mitarbeitenden. Mit der jetzigen Situation ist es auch schwierig, präventiv tätig zu sein. Durch das Vorsprechen bei einigen Firmen könnte man einige Wirtschaftsdelikte verhindern.
Ausserdem hat sich das Bild der Polizei mit der Zeit gewandelt. Vielfach hört man, der Respekt vor Polizistinnen und Polizisten habe massiv abgenommen. Ist dem tatsächlich so?
Kämpf: Die Verrohung ist an der Front bestimmt spürbar. Dann braucht es Fingerspitzengefühl und man muss das Gegenüber gut einschätzen können. Wir haben in unserer Arbeit hingegen nicht viel davon mitbekommen. Gegenüber uns wurden die Leute immer anständiger, je älter und grauer wir wurden. Die letzten zehn bis 15 Jahre hatten wir keine Probleme punkto mangelnden Respektes.
Renggli: Dies hat sicherlich auch mit unserer Klientel zu tun, da wir für Wirtschaftsdelikte zuständig waren. Wichtig ist, sich auf das Gegenüber einzustellen. Aber klar: Rüpel gibt es überall. In solchen Fällen muss man einstecken können und gleichzeitig eine Grenze ziehen, dem Gegenüber klarmachen, wann es diese überschreitet. Auch auf der Strasse ist klare Kommunikation wichtig: Was wollen wir von der Person? Weshalb halten wir sie an?
Gleichzeitig nimmt der Polizist und die Polizistin bis heute eine Vorbildfunktion ein. In privatem Rahmen an einem Fest über die Stränge schlagen ist entsprechend tabu. Blieb so überhaupt mal Platz für die Phase der Jugendsünden?
Renggli: Vor der Polizeikarriere schon. Ich war einst selbst ein «Töfflibueb». Dies hat später sogar geholfen, da ich dadurch wusste, wie ich mit ihnen das Gespräch suchen musste.
Hebt sich der Kanton Zug bezüglich Deliktverteilung oder -häufigkeit in irgendeiner Weise ab? Beispielsweise, dass in Zug der Anteil an Wirtschaftsdelikten höher ist?
Renggli: Klar, die Zahl der im Kanton Zug ansässigen Firmen nimmt stetig zu und damit auch die Zahl der Wirtschaftsdelikte. Doch unterscheidet sich dies nicht gross von anderen Kantonen. Zudem ist die Zahl der Anzeigen in einem Bereich abhängig von den Ressourcen, welche der jeweiligen Polizei dort zur Verfügung stehen. Das Zuger Hauptmerkmal ist eher seine geringe Grösse. Entsprechend kennt man sich.
Sie arbeiteten 40 respektive 42 Jahre bei der Zuger Polizei. Gab es in dieser Zeit Fälle, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Kämpf: Mir blieb ein Warenbestellungsbetrüger in Erinnerung. Dieser war ein extrem unangenehmer Zeitgenosse, behandelte Polizisten wie Richter schlecht. Entsprechend wollte niemand etwas mit ihm zu tun haben.
Renggli: Seit ich für Wirtschaftsdelikte zuständig war, blieben mir am ehesten die Grösse und das Volumen einzelner Hausdurchsuchungen in Erinnerung, wenn wir 200 Ordner und mehr holen mussten. Vom menschlichen Aspekt bleibt nicht wahnsinnig viel hängen – das Vergessen muss man allerdings zuerst lernen. Es gibt nicht wirklich ein Ereignis, über welches ich immer wieder nachdenken würde. Aber klar: Arbeitet man auf der Strasse und steht beispielsweise bei einem schweren Verkehrsunfall im Einsatz, sieht dies anders aus. Dies war bei mir in der Verkehrspolizei auch der Fall.
Stichwort vergessen: Wie schwierig ist das Abschalten nach Feierabend zu Beginn der Polizeikarriere?
Renggli: Manchen bereitet das die gesamte Karriere lang Probleme. Ich konnte dies jedoch relativ gut. Voraussetzung dafür ist ein harmonierendes Umfeld.
Kämpf: Abschalten zu können muss man tatsächlich früh lernen. Man darf in der Freizeit nicht an den Fällen herumstudieren, sondern sollte abschalten und sich erholen. Alles andere ist nicht gesund.
Was heisst das konkret?
Kämpf: Bei der Polizei erlebt man immer wieder viele schöne und positive Momente, auf der anderen Seite wird man aber auch mit Schlechtem und Negativem konfrontiert. Dies hinterlässt manchmal Spuren. Umso wichtiger ist es, die schönen Seiten des Berufes in den Vordergrund zu stellen und im Kreise der Familie wieder Kraft zu tanken.
Wie sind Sie ursprünglich zur Polizei gekommen? War es die Verwirklichung eines Bubentraums?
Renggli: Aufgewachsen bin ich in den Kantonen Schwyz und Zug, lernte Automechaniker. Im Militär lernte ich Polizisten kennen, die mich darauf gebracht haben, mich bei der Polizei zu bewerben. Als Bub wollte ich eher Lokführer werden (lacht). Natürlich kam ich mit dem Anspruch zur Polizei, den Leuten zu helfen und etwas zu bewirken. In meinen 42 Jahren bei der Polizei gab es jedoch Momente, in denen ich mich fragte, ob ich immer noch am richtigen Ort bin. Die Arbeit gefiel mir nach wie vor, doch manchmal gab es auch frustrierende Momente. Zum Beispiel dann, wenn bei einem Betrugsdelikt keine Verurteilung erwirkt werden konnte.
Kämpf: Ich wuchs in der Region Gösgen/Däniken auf und arbeitete ursprünglich bei den Kernkraftwerken Gösgen und Leibstadt. In den 1970er Jahren wurde dann beschlossen, keine weiteren Kernkraftwerke zu bauen, wobei ich beim Aufbau neuer Kernkraftwerke, zum Beispiel in Kaiseraugst, mitgewirkt hätte. Meine Firma konnte mir als Alternative bloss anbieten, in Argentinien oder Spanien zu arbeiten. Nach zehn Jahren wären die Kernkraftwerke dort gestanden und ich hätte mich nach meiner Rückkehr in die Schweiz mit 35 Jahren fragen müssen, welchen neuen Weg ich einschlagen möchte. Eine Umschulung in dem Alter ist viel schwieriger als mit 25. Ein Freund von mir war Polizist und machte mich darauf aufmerksam, dass sie Leute suchen. So fand ich den Weg zur Polizei. Nach Zug kam ich, weil bei der Polizei in Solothurn gerade Personalstopp herrschte. Mit anderen Worten, auch bei mir war es nicht direkt die Erfüllung eines Bubentraums.
Von den Anfängen zurück ins heute. Seit Anfang Jahr haben Sie plötzlich viel mehr freie Zeit. Droht seither die grosse Langeweile?
Renggli: Überhaupt nicht. Einerseits kann ich nun viele Pendenzen erledigen, für die ich bislang keine Zeit fand. Zudem engagierte ich mich bereits zuvor in verschiedenen Bereichen. Dies habe ich aufrecht erhalten, bin politisch sowie in der Kirche tätig und ich pflege weiterhin meine Hobbys Wandern und Fotografie. Ausserdem freue ich mich bereits darauf, einige mehrtägige Wanderungen zu unternehmen.
Kämpf: Auch bei mir ist Langeweile kein Thema. Unter anderem habe ich mir einen Hund angeschafft. So bin ich jeweils am Vormittag draussen – auch bei Wind und Wetter. Am Nachmittag bin ich zuhause, kümmere mich zum Beispiel um meine Enkelkinder. Einige Dinge wie das Reisen oder Restaurantbesuche sind aktuell natürlich eingeschränkt bis gar nicht möglich.