Ehemalige Häftlinge und Flüchtlinge auf der Bühne

Zürcher Theater Spektakel

Zahlreiche Performerinnen der internationalen Theater- und Tanzszene versammeln sich ab dem 15. August für das Zürcher Theater Spektakel in der Limmatstadt. Das Programm verspricht ein Kaleidoskop an Blickwinkeln auf die Gegenwart – wie global, so auch persönlich-subjektiv. In Form von Theatervorstellungen, Konzerten, Installationen und Gesprächen werden diese Perspektiven ausgedrückt und erforscht.

Nicht weniger als rund 270 Veranstaltungen werden im Rahmen des Zürcher Theater Spektakels auf der Landiwiese sowie in der Zürcher Innenstadt stattfinden. Das Festival beschäftigt sich dieses Jahr mit der Gegenwart und aktuellen Veränderungen, stellt schwierige Fragen zu globalen und persönlichen Themen und erforscht diese mittels berührender Geschichten. Das Programm beinhaltet nationale wie internationale Acts und verhandelt die Rolle der Kunst im Umgang mit Konflikten und Komplexität.

Zur Eröffnung wird dem Publikum ein Blick hinter die Fassade eines Frauengefängnisses gewährt: In ihrem Dokumentartheater und Musical «Los días afuera» erzählt die argentinische Regisseurin, Autorin und diesjährige Ibsen-Preisträgerin Lola Arias vom Leben argentinischer Inhaftierten. Bereits seit einigen Jahren recherchiert und arbeitet Aires in Strafanstalten für Frauen, wo die Zahl der häufig wegen Drogenschmuggels weggesperrten Personen in den letzten Jahren markant angestiegen ist.

Die ersten Szenen dokumentierte Aires im leerstehenden Gefängnis Caseros im Süden von Buenos Aires. Mit queeren, weiblich gelesenen und trans Personen hat Aires den Spielfilm «Reas» gedreht, der diesen Februar bei den Berliner Filmfestspielen Premiere gefeiert hat. Seitdem hat Aires den Spielfilm mit Elementen aus dem Dokumentar- und Musikfilmgenre mit demselben Cast weiterentwickelt und präsentiert nun einen mitreissenden Theaterabend. Das Stück zeigt, wie die Zeit im Gefängnis das Leben der Insassinnen veränderte und beschreibt ihre Rückkehr und Reintegration in die Gesellschaft. Das dokumentarische und musikalische Theater legt emanzipatorische Kraft frei und stimmt nachdenklich. Ab dem 15. August wird das Stück im Theater Zürich-Nord auf Spanisch aufgeführt, mit Übertitelungen in Deutsch und Englisch.

Von Frauenschicksalen und Veränderung

Im Theaterstück «Mothers. A Song for Wartime» der polnischen Regisseurin Marta Górnicka, die 2019 das Theater Spektakel eröffnete, stehen ebenfalls Frauen im Mittelpunkt. Das Schauspiel wurde mit ukrainischen und belarussischen Frauen erarbeitet, die alleine oder mit ihren Kindern nach Polen flüchten mussten. Mit Erzählungen, Volksliedern und Kinderreimen erzählen die Geflüchteten von Gewalt gegen Frauen im Krieg. So entsteht ab dem 15. August in der Werfthalle im Mythenquai ein Chor aus höchst aktueller kollektiver Erfahrung.

Mit Bewegung und Körperausdruck erzählt die Tanzaufführung «Zona Franca» vom modernen Brasilien. Die Choreografin Alice Ripoll und ihre Tanzcompagnie Suave drücken tänzerische Freiheit und politische Sehnsüchte einer jungen Generation aus. Geprobt wurde bereits während des Wahlkampfs zwischen Bolsonaro und Lula da Silva sowie während der globalen Pandemie und der Rückkehr in die Normalität nach der Isolation. Mit modernen Tanzstilen wie Hip-Hop und zeitgenössischem Tanz bis zu brasilianischen Volktänzen feiert die Vorstellung die Veränderungen im Land und auf der Welt. Ab dem 15. August lässt sich die Aufführung auf der Seebühne bestaunen, sofern kein Unwetter aufkommt.

Grosse und neue Namen

Während zweieinhalb Wochen hat das Publikum zahlreiche Gelegenheiten, künstlerischen Ausdruck aus aller Welt zu entdecken. In der ersten Festivalwoche vermitteln die Regisseure Tiziano Cruz aus Argentinien, Calvin Ratladi aus Südafrika und Nastaran Razawi Khorasani aus dem Iran ihre Geschichten – persönlich und politisch. Ihre Performances handeln von struktureller Gewalt und Unterdrückung, deren Auswirkungen sie mit zwischenmenschlichen Geschichten lebhaft aufzeigen und vor dem Vergessen bewahren. Am 16. August wird Cruz’ «Wayqeycuna» im Theater Süd zum ersten Mal auf Deutsch aufgeführt. Dieses Stück stellt den letzten Teil seiner Familientrilogie dar, deren zweiter Teil er bereits 2022 am Zürcher Theater Spektakel aufgeführt hatte.

Ausschnitt aus dem Film «Wayqeycuna» von Tiziano Cruz

«Wayqeycuna» widmet sich Tiziano Cruz’ Schwester, deren Tod nach dem Gebären auf die strukturellen Ungleichheiten in der argentinischen Gesellschaft verweist. Bild: Matias Gutierrez

Vom 22. bis 25. August werden in der Roten Fabrik Short Pieces gezeigt, eine Auswahl kurzer Solos und Duos von jungen Künstlern. Das beliebte Format gibt Tanz-Newcomern aus verschiedenen Weltgegenden die Gelegenheit, ihr Können zu zeigen und der Welt künstlerisch ihre Botschaft mitzuteilen. Ebenfalls nennenswert ist die Premiere von «Living Gaya Dreaming Hagay» auf der Landiwiese beim Schiffsteg am Freitag, 23. August. Mit Performance, Tanz und einem Zusammenspiel von Licht und Lasern hat die taiwanesische Multimediakünstlerin Shu Lea Cheang mit dem Künstler und praktizierenden Schamanen der Truku-Indigenen Dondon Hounwn eine einzigartige Welt entworfen. In diesem Universum zwischen überlieferter Tradition, erfundener Erzählung und Techno stehen die fluiden Geisterwesen «Hagay» im Mittelpunkt. Am selben Tag feiert der zeitgenössische Zirkus vom europäischen Collectif Sous le Manteau seine Zürich-Premiere in der Werfthalle im Mythenquai. Die Akrobaten arbeiten in «Mikado, Small Tales of Falling» mit fragilen und doch stabilen Stäben aus der chinesischen Akrobatik.

Künstler trifft Publikum

An diversen Gesprächsformaten werden viele der Perspektiven und Fragen, welche die Vorstellungen aufwerfen, näher diskutiert. Besonders empfehlenswert ist der tägliche Stammtisch auf der Landiwiese. In einem ungezwungenen Rahmen treffen hier Kunstschaffende auf ihre Zuschauerschaft, beantworten Fragen und erhalten Inputs von Gästen, darunter Aktivisten und Wissenschaftlerinnen.

Austausch am Stammtisch am Zürcher Theater Spektakel

Am Stammtisch tauschen sich Künstlerinnen, Wissenschaftler, Aktivistinnen, Politiker und Kunstliebhaberinnen in ungezwungener Atmosphäre aus. Bild: Facebook Zürcher Theater Spektakel

Während der Stammtisch auf Dialoge und Gruppengespräche setzt, bietet «Talking on Water» eine Vortragsreihe auf der Seebühne. Am 17. August spricht hier Verónica Gago, Professorin für Soziologie in Buenos Aires und Mitbegründerin von «Ni una menos», einer internationalen Bewegung, die sich Femiziden und geschlechtsspezifischer Gewalt entgegenstellt. Ein ganz anderes Thema greift der Umweltingenieur und Politikwissenschaftler Malcom Ferdinand am 24. August auf. Er verbindet ökologisches und dekoloniales Denken, welches gleichzeitig die Natur zu schützen und menschliche Unterdrückung zu stoppen versucht.

Rund die Hälfte der Vorstellungen und Events kann kostenfrei besucht werden. Für einzelne Vorstellungen können Tickets auf der Webseite des Festivals und teilweise über Eventfrog bestellt werden. Die regulären Ticketpreise liegen zwischen 15 und 49 Franken. Studenten, Besitzer der Kultur-Legi, Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung sowie Personen mit einer Behinderung erhalten Rabatt. Sich schon im Voraus Karten zu holen, lohnt sich, denn einige der Vorstellungen sind bereits ausverkauft.

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