Ein biologisch abbaubares Material, das Bausteine aus Zement und Verpackungen aus Styropor ersetzen kann, soll in den kommenden Jahren den Markt erobern. Die geheime Zutat besteht dabei aus einer Mischung aus Pilzen. Ein Basler Start-up forscht, wie solches Pilzmaterial möglichst einfach und in grossen Mengen produziert werden kann.
Als Zersetzer-Organismen sind Pilze für unser Ökosystem unverzichtbar und sie entpuppen sich immer mehr als wahre Multitalente. Einige Pilzarten werden zum Beispiel in der Medikamentenproduktion verwendet, während andere bei der Herstellung von Waschpulver, Papier und veganem Leder zum Einsatz kommen. Selbst in der Bauindustrie sollen Pilze in den kommenden Jahren verwendet werden und gelten bereits heute als Geheimzutat in einem praktischen und umweltschonenden Biomaterial, das zum Beispiel zur Schalldämpfung in Wänden verwendet werden kann.
Unter aus Pilzmaterial hergestellten Räumen sollte man sich kein Feenhäuschen mit rundem Umriss und farbigem Pilzhut als Dach vorstellen. Vielmehr werden Platten, Paneele und Bausteine aus Pilzmaterial hergestellt, die sich lediglich mit einer ungewöhnlichen, meist samtig-pelzigen Oberfläche und einer deutlich erkennbaren Struktur von anderen Materialien unterscheiden. Ihre natürliche Farbe reicht von beige bis braun, doch ist die Myzeloberfläche meist weiss und lässt das dunklere Pflanzensubstrat leicht durchscheinen. Dieses hat einen grossen Einfluss auf die Struktur und Haptik des Materials.
Solche Flächen werden nicht aus dem essbaren Teil der Pilze hergestellt, sondern aus Myzel, dem komplexen Geflecht, welches an Wurzeln erinnert. Das Myzel formt ein Netz aus winzigen röhrenartigen Pilzzellen, die Hyphen genannt werden. Dieses Geflecht kann riesig werden – als das grösste Lebewesen auf dem Planeten gilt ein Dunkler Hallimasch im amerikanischen Oregon dessen Myzel eine Fläche von 9,65 Quadratkilometern oder etwa 1352 Fussballfeldern einnimmt. Das Alter dieses Pilzes ist schwer einzuschätzen, Forscher gehen von einem Zeitraum von 1900 bis 8650 Jahre aus.
Baumaterial heranwachsen lassen
Myzel kann als Baumaterial verwendet werden, wenn man es in einem kontrollierten Verfahren heranwachsen lässt. Verschiedene Methoden, Baumaterial mithilfe von Pilzen herzustellen, wurden erst in den letzten gut 20 Jahren ausgearbeitet. Zu den Unternehmen, die sich in diesem Forschungsfeld bewegen, gehört unter anderem das Start-up Mycrobez aus Basel. Dieses entwickelt Pilzsporenmischungen sowie Maschinen zur Herstellung von Pilzmaterial und setzt auf eine Produktion, die aus fünf Schritten besteht. Als erstes wird Bioabfall wie zum Beispiel Sägemehl in grossen Mengen zerkleinert und sterilisiert. «Danach wird dieses Substrat mit einer Mischung von Pilzsporen beimpft», erklärt Cedric Mennet, COO und HR-Verantwortlicher des Start-ups. Diese Mischung kann in einen Behälter wie zum Beispiel Plastiksäcke gefüllt werden und benötigt nun lediglich Feuchtigkeit, Luft und etwas Zeit, bis die Pilze das Substrat kolonialisiert haben. Auf synthetischen Klebstoff kann dank der Pilzmischung verzichtet werden, denn das Myzel ersetzt diesen.
Innerhalb eines Monats wächst das fadenförmige Netzwerk in einem kühlen und dunklen Raum heran, bis das Gemisch weiterverarbeitet werden kann. Zerkleinert kann die Masse in Formen gepresst werden, wo das Myzel weiterwächst und die gewünschte Form annimmt. Weil sich das Pilzkomposit so gut formen lässt, kann es nicht nur zu Platten, sondern auch zu Verpackungsmaterial oder sogar zu Teilen für Möbelstücke geformt und gepresst werden.
Als letzten Schritt wird das geformte Produkt getrocknet. Erst kann es in einem trockenen Zimmer stehengelassen werden, bevor es in einen speziellen Ofen kommt. Hier wird das Produkt kurz bei einer Temperatur von etwa 60°C bis 80°C gebacken. Das Ergebnis ist ein steriler Naturschaumstoff, der vergleichbar mit konventionellen Schaumstoffen ist. Stark gepresst und gut getrocknet können Platten aus Pilzmaterial jedoch auch etwa so hart und stabil wie mitteldichte Holzfaserplatten sein.
Pläne für die Massenproduktion
«Bei der Produktion fällt viel Handarbeit an, die wir mit Maschinen zu reduzieren suchen», sagt Mennet. Wenn Maschinen die Produktion übernehmen können, wird diese in deutlich erhöhten Mengen möglich sein als aktuell, wo Mycrobez Verpackungsmaterial nur in kleinen Mengen zu Forschungszwecken herstellt. So forscht das Unternehmen im Bereich der Biotechnologie und entwickelt Baupläne für Maschinen, welche das Komposit möglichst ohne menschliche Handarbeit produzieren würden. Sollte das Start-up sein Ziel erreichen, besteht die Möglichkeit, dass das Komposit synthetischen Materialien wie Styropor Konkurrenz macht.
Um möglichst viel zur globalen Abfallreduktion beizutragen, strebt das 18-köpfige Unternehmen nicht danach, selbst Verpackungen oder Platten aus Pilzmaterial zu produzieren. Vielmehr will das 2019 gegründete Start-up die Baupläne für die Produktionsmaschinen sowie die Informationen für die Herstellung – die patentierten Rezepte sozusagen – entwickeln und Lizenzen dafür an grosse Unternehmen verkaufen. «Unser erster Schritt ist, die Herstellung von Verpackungsmaterial wie Naturschaumstoff zu ermöglichen», so Mennet, «später soll die Produktion von Baumaterial folgen.»
Welche Pilzarten in der Mischung der Pilzsporen vorkommen, ist übrigens Betriebsgeheimnis. «Wir haben diejenigen Arten ausgewählt, die verschiedenes Substrat am besten binden können», sagt Mennet. So verwendet das Start-up eine Mischung von Schweizer Baumpilzen, da diese effizient Bioabfälle verdauen. Die ForscherInnen zielen darauf ab, eine breite Auswahl an Pilzmischungen anzubieten, die jeweils für verschiedenes Substrat kuratiert wurden, sodass sich eine Mischung besonders gut eignet, wenn zum Beispiel viel altes Stroh oder Getreide in der Landwirtschaft weggeworfen wird und als Substrat verwendet werden soll.
Mit Vor- und Nachteilen
Die fertigen Platten aus Pilzbaustoff eignen sich hervorragend für Wände, da sie einerseits von geringem Gewicht sind, und auf der anderen Seite robust und widerstandsfähig sind, nachdem sie gepresst wurden. Auch eignen sie sich gut für Isolation sowie Schalldämmung und sind dazu auch noch nicht selbstbrennend. Der wohl grösste Vorteil dieses Materials ist jedoch, dass es biologisch abbaubar ist, was seinen Ökologiefaktor signifikant steigert. Hinzu kommt, dass beim Herstellungsprozess kein Abfall entsteht und grosse Mengen an Biobabfall upcyclet werden.
Hinsichtlich mancher Kriterien schneiden Pilzbaustoffe hingegen schlechter ab als ihre Konkurrenz. Pilzbaustoffe nutzen sich zum Beispiel schneller ab, tendieren dazu, Feuchtigkeit besser aufzunehmen und weisen in der Regel eine relativ niedrige Zugfestigkeit auf. Weil dieses Material trotz seiner Schwachpunkte grosses Potenzial birgt, suchen Forschergruppen stetig nach Möglichkeiten, dessen Eigenschaften zu optimieren.
Forschungsluft nach oben
Eine Idee zur Optimierung des Materials besteht darin, es mit Beschichtungen vor Feuchtigkeit zu schützen. «Damit unsere Produkte biologisch abbaubar bleiben, müssen wir mit natürlichen Beschichtungen arbeiten», sagt Mennet dazu. Deswegen lässt Mycrobez eine Art von Haut auf der Oberfläche des Pilzmaterials wachsen. Diese Haut bildet sich, wenn die Oberfläche des Materials unter bestimmten Bedingungen der Luft direkt ausgesetzt ist. «Wenn das Myzel bereits das ganze Substrat durchdrungen hat, sucht es an der Oberfläche nach mehr Nährstoffen», erklärt der COO. Wenn der Pilz auf Luft stösst, bildet er, wenn die Bedingungen dafür stimmen, eine dünne weisse, wasserabweisende Schicht, die sich ganz einfach mit dem Rest des Materials kompostieren lässt.
Eine wie grosse Rolle Pilzmaterial dereinst auf dem Markt einnehmen kann, ist zum aktuellen Zeitpunkt noch sehr offen, denn selbst bis die Forschung so weit ist, dass Verpackungen aus Pilzmaterial in grossen Mengen hergestellt werden können, wird es noch einige Zeit dauern. Weil zur Verwendung eines neuen Materials beim Bau zusätzliche Qualitäts- und Sicherheitstests vorausgesetzt werden, wird sich die Wartezeit umso länger hinziehen, bis das Pilzmaterial vermehrt auch in Häusern vorzufinden sein wird.