Menschen gehören nicht in das Beuteraster von Haien

Ingolf Winter ist ein Mann, dem offensichtlich das natürliche Angst-Gen nicht in die Wiege gelegt wurde. Eines seiner vielen gefährlichen Hobbys ist das Tauchen mit bis zu drei Tonnen schweren und bis zu sieben Metern langen Haien. Sein Lieblingstier: der Weisse Hai! Sein bester Tauchfreund ist Dr. Erich Ritter, ein Schweizer Hai-Forscher, der sich intensiv für den internationalen Schutz der Haie engagiert.

 

FonTimes: Herr Winter, alle Welt spricht über die Gefährlichkeit von Haien und über deren Angriffe auf Menschen. Wie kommt man darauf, sich an diese Tiere heranzuwagen, sie zu streicheln, wie Sie in vielen Filmen und Bildern beweisen?

Ingolf Winter: Wie bei Tausenden anderen Haifreunden ist die Liebe zu diesen ausserordentlichen und einzigartigen Tieren bereits bei meinen ersten Tauchgängen auf den Malediven entstanden. Zusammen mit meinen Söhnen hatte ich vor 25 Jahren die ersten Begegnungen mit Haien. Sofort waren wir fasziniert von diesen wunderschönen, perfekten, aber scheuen Jägern. Es war für mich unfassbar, was man als Unterwasserfotograf alles anstellen muss, um auf gute Fotodistanz an die Raubtiere heranzukommen. Von nun an wählte ich unsere Unterwasser-Destinationen nach den Hai-Vorkommen aus. Ein Tauchurlaub ohne Hai war nicht mehr vorstellbar.

 

FT: Dr. Erich Ritter, Sie gelten weltweit als einer der berühmtesten Hai-Forscher und kämpfen international gegen das sinnlose Abschlachten von Haien. Zunächst einmal: Warum werden jedes Jahr Hunderttausende Haie meist grausam getötet? Hai-Fleisch steht ja nicht unbedingt auf unserer Delikatessen-Speisekarte.

Dr. Erich Ritter: Wenn es nur einige hunderttausende Haie wären, hätte die Welt eines ihrer grössten Probleme gelöst. In Wahrheit werden jährlich rund 70 Millionen oder noch mehr Haie grausam getötet. In den letzten 20 Jahren hat durch die hohe Nachfrage dieser Markt so stark zugenommen, dass das Verschwinden einzelner Hai-Populationen eine direkte Konsequenz davon ist.

 

FT: Grosse Haie kommen auch in Strandnähe und können damit zu einer Gefahr für die badenden Menschen werden. Was kann ein unerfahrener Schwimmer tun?

Dr. Erich Ritter: Das Wichtigste ist, dass man sofort mit der momentanen Bewegung aufhört, wenn man einen Hai sieht oder auch nur einen Schatten, sich in eine vertikale Position begibt und sich langsam mit dem Hai um die eigene Achse dreht, wobei man die Beine hängen lassen und sich nur mit den Armen bewegen sollte. Je weniger Geräusche man macht, desto uninteressanter wirkt man auf einen Hai. Es sind oft die nicht-rhythmischen Töne, die einen Hai interessieren. Schwimmt er dann weiter, sollte man sich langsam (!) versuchen zurückzuziehen, aber weiterhin um sich schauen. Kommt der Hai wieder näher, hört man mit der Bewegung wieder auf … Sollte ein Hai sehr nahe kommen, empfehlen wir die Regel „Face-Guide-Push-Move“: sich zum Hai drehen (Face), den Hai an sich vorbeileiten (Guide), den Hai wegdrücken, sollte er direkt auf die Person zuschwimmen (Push) und wenn alles nicht hilft, ist es angebracht sich direkt auf den Hai zu bewegen (Move). Das Letztere führt immer dazu, dass sich ein Hai zurückzieht respektive eine grössere Distanz zwischen sich und uns herstellt.

 

Ritter mit Hai

 

FT: Das heisst also, dass ein Hai nicht grundlos und willkürlich oder aus reiner Fresslust einen Menschen angreift. Was sind die hauptsächlichen Gründe für Hai-Unfälle?

Dr. Erich Ritter: Kein Hai beisst grundlos. Entgegen gängiger Ansicht müssen immer mehrere Faktoren zusammenkommen, damit es zu einem Unfall kommen kann. Neben dem Kreieren von attraktiven Geräuschen sind es vorwiegend Umwelteinflüsse oder Regionen, die die Unfallwahrscheinlichkeit erhöhen.

Ingolf Winter: Wenn es mal zu einem schlimmen Unfall kommt, dann frisst unter normalen Umständen der Hai auch nicht das Menschenfleisch, sondern spuckt es aus. Er merkt, dass dies nicht seine Nahrung ist. Die meisten schlimmen Unfälle geschehen, wenn der Hai einen leichten „Testbiss“ macht, der Mensch aus Furcht und Schreck das Körperteil aus dem Maul herauszieht und sich so an den messerscharfen Zähnen schwer verletzt.

 

FT: Nun sind Sie ja beide erfahrene Hai-Taucher. Haben Sie trotzdem leidliche Erfahrungen mit den gefürchteten Zähnen eines Hais Bekanntschaft machen müssen?

Ingolf Winter: Selbst in einer Extremsituation vor zwei Jahren bei der Fütterung hatte keiner dieser Burschen einen Beissversuch unternommen.

Dr. Erich Ritter: In meinem Beruf lässt es sich nicht vermeiden, dass man auch mal gebissen wird, wobei diese Schnapper meist harmlos sind. Das geschieht dann, wenn wir herausfinden müssen oder wollen, wie weit man mit einem Hai unter gewissen Situationen gehen kann, bevor er sich wehrt. Unser Motto ist, dass es keine gefährlichen Haie gibt, nur gefährliche Situationen. Und diese Situation werden immer (!) von uns Menschen kreiert, bewusst oder unbewusst.

 

FT: Das kann doch nur bedeuten, dass sich ein im Umgang mit Grossfischen unerfahrener Schnorchler oder Surfer nicht in deren Nähe begeben sollte. Gibt es spezielle Tauchschulen, in denen Begegnungen mit Haien gelernt und geübt werden können?

Dr. Erich Ritter: Wenn man die Regeln kennt und versteht worauf zu achten ist, wenn man sich an einem bestimmten Ort aufhält, wird es zu keinen Unfällen kommen. Die einzige Schule, die es dafür gibt, ist unsere SharkSchool, die wir vor rund 20 Jahren mit der Absicht gründeten,
unsere Erfahrungen, Forschungsergebnisse etc. an die breite Öffentlichkeit zu bringen. Je besser die Allgemeinheit Haie versteht desto eher wird man diese Tiere schützen.

 

FT: Welche Aufgabe hat der Hai im Naturkreislauf und wie sähen die Meere ohne Haie aus?

Dr. Erich Ritter: Es gibt Modelle, die eine Endzeitsituation vorhersagen, wenn man die Haie von der Spitze eliminiert. Die gängige Meinung ist, dass alles (Nahrungsketten, Nahrungsnetze …) zusammenfallen würde und die Konsumenten der verschiedenen Stufen verschwinden würden. Was das schlussendlich bewirken wird, muss dahingestellt bleiben, aber bedenken wir, dass zwischen 60 und 80 Prozent unseres Sauerstoffs vom Phytoplankton produziert wird. Somit ist es sehr gefährlich, diese Dinge einfach „laufen zu lassen“, denn ein solcher Zerfall wird sich auch auf jener Ebene bemerkbar machen.

Ingolf Winter: Es gibt viele Fischarten, die sich nur von diesem Sauerstoff erzeugendem Plankton ernähren. Wenn es keine Haie mehr gibt, welche diese Fischarten kontrollieren, wird es immer weniger Phytoplankton geben und somit immer weniger Sauerstoff für die Menschheit. Somit kann man sagen: Stirbt der Hai, stirbt der Mensch!

 

www.sharkschool.com

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